Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
westlichen Seite des Hauses. Dort hatte er schon als Knabe geschlafen, als es noch Ogions Haus gewesen und er bei Ogion in der Lehre gewesen war. Tehanu hatte dort in den letzten fünfzehn Jahren geschlafen, seit sie seine Tochter war. Nun, da sie und Tenar fort waren, fühlte er, wenn er in seinem und Tenars Bett in der dunklen hinteren Ecke des einzigen Raumes lag, seine Einsamkeit so sehr, dass er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, im Alkoven zu schlafen. Er mochte die schmale Kammer, die direkt unter dem Fenster aus Holz an der dicken Hauswand angebaut worden war. Er schlief dort gut. Nicht aber in dieser Nacht.
Kurz vor Mitternacht weckten ihn ein Schrei und Stimmen von draußen. Er sprang auf und ging zur Tür. Es war bloß Erle, der mit einem Albtraum kämpfte -unter schlaftrunkenem Protest aus dem Hühnerstall. Erle schrie mit der krächzenden Stimme, die man im Traume hat, und schrak dann in Panik und Pein hoch. Er entschuldigte sich bei seinem Gastgeber und sagte, er werde eine Weile wach unter den Sternen sitzen.
Sperber begab sich wieder zu Bett. Er wurde zwar nicht noch einmal von Erle aus dem Schlaf geweckt, hatte aber einen eigenen schlimmen Traum.
Er stand an einer Steinmauer nahe der Kuppe eines langen Berghangs aus trockenem grauem Gras, der sich unter ihm in der Dunkelheit verlor. Er wusste, dass er schon einmal dort gewesen war, schon einmal dort gestanden hatte, aber er wusste weder wann noch an welchem Ort es gewesen war. Jemand stand nicht weit entfernt von ihm auf der anderen, zum Hang weisenden Seite der Mauer. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, sah nur, dass es ein großer, in einen Mantel gehüllter Mann war. Er wusste, dass er diesen Mann kannte. Der Mann sprach ihn mit seinem richtigen Namen an. Er sagte: »Du wirst bald hier sein, Ged.«
Kalt bis ins Mark fuhr er auf und blickte um sich, raffte die Wirklichkeit des Hauses um sich wie eine wärmende Decke. Er schaute durch das Fenster zu den Sternen. Da drang die Kälte in sein Herz. Das waren nicht die Sterne des Sommers, die geliebten und vertrauten, der Wagen, der Falke, die Tänzer, das Schwanenherz. Es waren andere Sterne, die kleinen, fixen Sterne des trockenen Landes, die niemals auf- oder untergehen. Er hatte ihre Namen gekannt, einst, als er noch die Namen von Dingen gekannt hatte.
»Wende dich ab!«, sagte er laut und machte die Geste zur Abwehr von Unheil, die er als Zehnjähriger gelernt hatte. Sein Blick schweifte zum offenen Türeingang des Hauses, zu der Ecke hinter der Tür, wo er zu sehen glaubte, wie Dunkelheit Gestalt annahm, sich verdichtete und emporstieg.
Aber seine Geste, wiewohl ohne Kraft, weckte ihn doch auf. Die Schatten hinter der Tür waren bloß Schatten. Die Sterne hinter dem Fenster waren die Sterne der Erdsee, die im ersten Licht des Morgengrauens verblassten.
Er saß da, sein Schaffell um die Schultern gerafft, und schaute zu, wie die Sterne verblichen, während sie im Westen untergingen, betrachtete die wachsende Helligkeit, die Farben des Lichts, das Schauspiel des beginnenden Tages. In ihm war Gram, er wusste nicht, warum, ein Schmerz und ein Sehnen wie nach etwas, das ihm teuer war und das er verloren hatte, für immer verloren. Er kannte das, war daran gewöhnt; vieles war ihm teuer gewesen, und vieles hatte er verloren. Doch diese Traurigkeit war so groß, dass es ihm schien, als sei es nicht seine eigene. Er spürte eine Traurigkeit im Herzen der Dinge selbst, einen Kummer sogar noch beim Kommen des Lichts. Dieser Kummer haftete ihm aus seinem Traum an und blieb auch bei ihm, als er aufstand.
Er entfachte ein kleines Feuer in dem großen Herd und ging zu den Pfirsichbäumen und zum Hühnerstall, um Frühstück zu sammeln. Erle kam herein von dem Pfad, der nach Norden entlang den Felsen verlief; er habe gleich beim ersten Morgengrauen einen Spaziergang gemacht, erklärte er. Er sah müde und erschöpft aus, und Sperber war erneut betroffen von der Traurigkeit in seinem Antlitz, welche den tiefen Kummer widerhallen ließ, der ihm von seinem eigenen Traum nachhing.
Sie verzehrten eine Schale von dem angewärmten Gerstenschleim, den die Landleute von Gont trinken, ein gekochtes Ei, einen Pfirsich. Sie aßen am Herd, denn die Morgenluft im Schatten des Berges war zu kalt, als dass sie draußen hätten sitzen können. Sperber versorgte seine Tiere: er fütterte die Hühner, streute Körner für die Tauben aus, ließ die Ziegen auf die Weide. Als er wiederkam, setzten sie sich erneut auf
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