Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
Bäumen. Habt keine Bange. Aber seid so lieb und lasst mich meine Freunde willkommen heißen, ja?«
Seserakh lächelte hold, und er wandte sich ab, Erle und Onyx zu begrüßen.
Die Prinzessin beobachtete ihn. »Er ist ein Krieger«, sagte sie auf Kargisch zu Tenar, mit zufriedener Stimme. »Kein Priester. Priester haben keine Freunde.«
Alle gingen jetzt langsam weiter und gelangten schließlich in den Schatten der Bäume.
Tenar blickte hinauf zu den Arkaden und Spitzbögen aus Ästen und Zweigen, den Tribünen und Galerien aus Blättern. Sie sah Eichen und eine hohe Buche, aber die meisten waren Bäume des Hains. Ihre ovalen Blätter bewegten sich leicht in der Luft, wie die von Espen und Pappeln. Manche waren gelb geworden, und der Boden rings um ihre Füße war gelb und braun gesprenkelt, aber das Blattwerk im Licht des Morgens hatte das satte Grün des Sommers, voller Schatten und unergründlichem Licht.
Der Formgeber führte sie über einen Pfad unter den Bäumen hindurch. Während sie gingen, dachte Tenar wieder über Ged nach, rief sich den Klang seiner Stimme in Erinnerung, als er ihr von diesem Ort erzählt hatte. Sie fühlte sich ihm näher, als sie sich ihm je gefühlt hatte, seit sie und Tenar sich im Frühsommer an der Tür ihres Hauses von ihm verabschiedet hatten und hinunter nach Gonthafen gegangen waren, um auf das Schiff des Königs nach Havnor zu steigen. Sie wusste, dass Ged hier mit dem Formgeber aus früheren Zeiten gelebt hatte und dass er mit Azver hierher gegangen war. Sie wusste, dass der Hain für ihn die zentrale und heilige Stätte war, das Herz des Friedens. Sie hatte das Gefühl, dass sie bloß aufzublicken brauchte, und schon würde sie ihn am Rande einer der weiten, sonnengesprenkelten Lichtungen sehen. Bei dem Gedanken wurde ihr wohl ums Herz.
Denn ihr nächtlicher Traum hatte sie beunruhigt, und als Seserakh mit ihrem Traum vom Tabubruch herausgeplatzt war, war Tenar zutiefst alarmiert gewesen. Auch sie hatte in ihrem Traum ein Tabu gebrochen. Sie hatte die letzten drei Stufen des Ledigen Thrones erklommen, die verbotenen Stufen. Die Stätte der Gräber auf Atuan war weit entfernt, und ihre Zeit dort lag lange zurück; vielleicht hatte das Erdbeben in dem Tempel, wo ihr der Name genommen worden war, gar keinen Thron und gar keine Stufen zurückgelassen: aber die Alten Mächte der Erde waren dort, und sie waren hier. Sie wurden nicht verändert oder bewegt. Sie waren das Erdbeben und die Erde. Ihre Gerechtigkeit war nicht die Gerechtigkeit des Menschen. Als sie an dem runden Hügel vorbeigegangen war, dem Rokkogel, hatte sie gewusst, dass sie dorthin ging, wo sich alle Mächte begegneten.
Sie hatte ihnen vor langer Zeit getrotzt, als sie sich aus den Gräbern befreit, den Schatz gestohlen hatte und hierher in den Westen geflohen war. Aber die Mächte waren hier. Unter ihren Füßen. In den Wurzeln dieser Bäume, in den Wurzeln des Hügels.
Und so hatten sich denn hier, im Zentrum, wo sich die Mächte der Erde begegneten, auch die Mächte der Menschen zusammengefunden: ein König, eine Prinzessin, die Meister der Zauberkunst. Und die Drachen.
Und eine diebische Priesterin, die zur Bauersfrau geworden war, und ein Dorfhexer mit einem gebrochenen Herzen ...
Sie wandte sich zu Erle um. Er ging neben Tehanu her. Sie unterhielten sich leise. Tehanu redete lieber mit ihm als mit jedem anderen, auch Irian, und wirkte stets entspannt, wenn sie mit ihm zusammen war. Es munterte Tenar auf, sie zusammen zu sehen, und sie schritt weiter voran unter den hohen Bäumen und ließ ihr Bewusstsein in eine Halbtrance aus grünem Licht und wogendem Blattwerk hinübergleiten. Sie bedauerte es, als schon nach einer kurzen Wegstrecke der Formgeber stehen blieb. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie auf ewig in dem Hain weiter gehen.
Sie versammelten sich auf einer grasbewachsenen Lichtung, welche in der Mitte, dort, wo die Äste der Bäume nicht hinreichten, zum Himmel hin offen war. Ein Nebenarm des Thwilbaches floss an einer Seite der Lichtung vorbei. Weiden und Erlen standen an seinen Ufern. Nicht weit von dem Wasserlauf entfernt stand ein flaches, gedrungen wirkendes Haus aus Steinen und Grassoden, mit einem höheren Anbau aus Weidenruten und Matten aus geflochtenem Schilf, der an seiner Seitenwand klebte. »Mein Winterpalais, mein Sommerpalais«, sagte Azver.
Sowohl Onyx als auch Lebannen starrten überrascht auf diese kleinen Gebäude, und Irian sagte: »Ich wusste gar nicht, dass du
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