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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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organisiert hatten, hinter sich her. »Du, Katharina, mögen Frösche wirklich Zigaretten?«
    »Mama hat gesagt, dass in diesen Zeiten jeder Zigaretten mag. Deshalb bekommt man alles dafür.« Sie ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie auch über die Vorlieben von Fröschen Bescheid wusste. Sie ließ ihrem Bruder gegenüber nie Zweifel über irgendetwas aufkommen. Schließlich war sie mehr als doppelt so alt und hatte schon einiges durchgemacht.
    »Hast du Frösche schon mal rauchen sehen?«, insistierte der Kleine. Er hatte keine klare Vorstellung von deren Vorlieben, aber das traute er sich nicht zuzugeben. Sonst hätte sie ihn sofort wieder nach Hause geschickt. Hinter ihrem Rücken zog er seine rutschende Kniebundhose hoch.
    »Sie rauchen nur in der Nacht«, erklärte Katharina. »Am Morgen spucken sie die Stummel wieder aus. Tagsüber verdauen sie und liegen rum. Im Winter machen sie es umgekehrt. Wird Zeit, dass du in die Schule kommst und nicht mehr den ganzen Tag mit dummen Fragen nervst.«
    »Schule gibt’s noch lange nicht.« Das wenigstens wusste ihr Bruder.
    »Ewald! Pass auf die Angel auf! Nicht, dass du sie auch noch kaputt machst.«
    Währenddessen waren die Geschwister über die in den letzten Tagen ausgekundschafteten Trampelpfade bis zu dem modrigen Tümpel vorgedrungen. Katharina trug das Einweckglas mit den Zigarettenstummeln vor sich her wieeine Kostbarkeit. Ihre Eltern waren hier schon oft ohne sie gewesen. Zumindest hatten sie das immer behauptet, wenn sie zu viert vorbeigekommen waren. Früher.
    Sie krabbelten unter einem Holzzaun durch und waren endlich am Ziel. Das Wasser gluckerte tief unter ihnen. Ewald nahm ein paar Steine und ließ sie fallen. Sie verursachten beim Aufprall ein dumpfes Geräusch. Von den Fröschen war nichts zu hören und zu sehen. Aber es musste sie geben. Eine Nachbarin hatte ihrer Mutter davon erzählt. Katharina hatte die beiden belauscht. Die meisten Gespräche ihrer Mutter überwachte sie, aus gutem Grund. Die Nachbarin ängstigte sich vor allem, am meisten vor Ratten und der Rückkehr ihres Mannes. »Aus Russland oder der Ukraine, wer weiß, wo er sich wieder herumtreibt, und bei welchen Weibern.« Die Frau war nicht ganz richtig im Kopf, fand Katharina. Wenn man einen Mann liebte, musste man ihm nachreiten und ihn aus der Gefangenschaft befreien. Und wenn man kein Pferd hatte, ging man eben zu Fuß. Und schnorrte nicht winselnd bei den Nachbarn teuren Kaffee!
    Sie setzten sich auf Steinblöcke und ließen die Beine in den Abgrund baumeln. An ihrem Stecken befestigten sie eine lange Schnur und an dieser einen verrosteten Haken, auf den sie eine Zigarettenkippe spießten.
    »Wenn sie mich zu sich runterziehen, hältst du mich dann fest?«, versicherte sich Ewald besorgt.
    Katharina zuckte mit den Schultern. »Kommt ganz drauf an, wie groß der Frosch ist. Wenn er zu schleimig ist, gehe ich.«
    Sie warfen den Köder aus und warteten.
    »Vielleicht muss man sie erst aufwecken«, schlug Ewald nach drei Minuten vor und drückte seiner Schwester die Angel in die Hand. Bevor Katharina protestieren konnte, warf er einen Stein hinunter.
    »Du hast von Tuten und Blasen keine Ahnung. Frösche schlafen nur bei Vollmond, das weiß doch jedes Kind!«
    Dennoch packte auch Katharina einen Stein und schmiss ihn weit hinaus. Steinewerfen machte mehr Spaß als Warten. Manchmal klatschte es, wenn man ins Wasser traf, manchmal gab es nur ein dumpfes Geräusch. Doch allmählich wurde Katharina die Sache mit den Fröschen zu dumm. Wer glaubt schon mit zwölf Jahren ernsthaft, Frösche mit Zigarettenstummeln angeln zu können? Aber sie musste sich um ihren kleinen Bruder kümmern, das war der Auftrag ihrer Mutter. Diese war am Morgen besonders nervös gewesen. Es war ein Vielleicht-kommt-er-Tag. In den letzten Monaten hatte es viel zu viele solcher Tage gegeben. Dann verhielt sie sich nicht wie eine richtige Mutter, sondern starrte nur aus dem Fenster, unfähig, sich um das Beschaffen von Essen zu kümmern. Bevor sie losheulte aus Erleichterung, dass Vater wieder nicht kam, war es besser zu gehen. Hätte Katharina wenigstens ihr Buch mitgenommen, dann müsste sie sich nicht mit diesen Fröschen und Ewald herumschlagen!
    »Ich schau mir das mal genauer an.«
    Sie beugte sich über den Abgrund. Man konnte noch einige Meter hinunterklettern. Ihrem Bruder befahl sie, sich nicht von der Stelle zu rühren und im Notfall nichts der Mutter zu sagen, sondern sie vermisst zu melden, und machte

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