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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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sich rückwärts an den Abstieg.
    Es stank eklig, und die spitzen Steine pieksten an den Knien durch den dünnen Rock. Sie schaute über die Schulter hinab auf die Wasseroberfläche, die nun deutlich zu erkennen war. Am Rand der Brühe schwamm etwas Helles. Katharina erschrak. Es war ein Kleid. Und in dem weißen Kleid steckte ein Körper mit langen schwarzen Haaren, der mit dem Gesicht nach unten trieb! Ein dunkles Band floss um ihn wie geronnenes Blut. Eine echte Leiche. Ihr brauchte niemand erklären,wie so etwas aussah. Katharina schauderte. Sie hatte die Märchen genau im Kopf, die sie Ewald in den langen Nächten des letzten Winters wieder und wieder vorgelesen hatte. Auch wenn sie selbst aus dem Alter längst heraus war. Unfähig zu einer Bewegung dachte sie nach, bis sie in ihrem Kopf alles sortiert hatte: Mit den Steinen hatten sie einen Frosch erst in eine Prinzessin verwandelt, und diese war elendig ertrunken! Prinzessinnen konnten nicht schwimmen, Frösche schon. Man durfte sie nie im Wasser verwandeln.
    »Wir haben sie … umgebracht«, flüsterte sie fassungslos und kletterte so schnell wie möglich nach oben. »Du bis so ein Ochse, jetzt kommen wir ins Lager und alles ist aus!«, schrie sie ihren Bruder an. »Du hast sie gesteinigt!«
    »Wen? Die Frösche?« Vorsorglich begann er zu heulen.
    »Die Prinzessin, du Idiot!«, fuhr Katharina ihn an und gab ihm eine Ohrfeige. »Hör auf, dich wie ein Kleinkind zu benehmen.« Nachdenklich ließ sie sich auf einem Stein nieder. »Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Die Amis mögen Kinder. Also geben wir zu, dass du es warst. Weil du noch so klein bist, kommst du vielleicht mit einem blauen Auge davon. Wahrscheinlich stellen sie dich an die Wand oder stecken dich ins Lager. Wenn du rauskommst, bist du endlich erwachsen und kannst arbeiten und liegst uns nicht mehr auf der Tasche.« Sie warf noch einen Blick in den Abgrund, stand auf und zerrte ihren Bruder hoch. »Du hast jedenfalls den ersten Stein geworfen. Mit deinen blöden Fröschen bringst du uns alle noch ins Grab!«
    Ewald nickte schuldbewusst und trottete mit hängendem Kopf hinter ihr her bis zu dem unzerstörten gelben Haus, vor dem immer einige Polizisten mit Holzknüppeln herumstanden. Katharina schob ihren Bruder, dem schon wieder die Tränen in den Augen standen, zu einem von ihnen und flüsterte ihm zu:
    »Bleib höflich, dann haben sie vielleicht Erbarmen.«
    Sie salutierte mit der linken Hand, drehte sich um und lief davon. Ewald riss sich zusammen und fixierte den stärksten Polizisten.
    »Können Sie mitkommen, bitte? Also, die Prinzessin ist tot. Aber ich war es, glaube ich, nicht. Weil … der Teich ist mindestens hundert Meter tief, und ich habe noch gar nicht so viel Kraft, ich bin nämlich erst fünf«, sprudelte es aus ihm heraus.
    Stirnrunzelnd sah der deutsche Schutzpolizist zu ihm herunter, ernst blickte Ewald zurück. Sie musterten sich. Schließlich fasste sich Ewald ein Herz und griff nach der Hand des Polizisten, der sich lachend von seinen Kollegen verabschiedete, worauf der kleine Kerl ihn von der Maximilianstraße über den Marstallplatz bis zur Ruine des Nationaltheaters zog.
    Katharina beobachtete von der anderen Straßenseite, wie nach einer Viertelstunde ihr Bruder mit dem aufgeregten Polizisten zurückkam. Ewald schüttelte ihm wie ein Erwachsener die Hand und stahl sich in dem Durcheinander, das der Leichenfund ausgelöst hatte, unbemerkt davon.

5
    Vor dem Ringcafé am Sendlinger-Tor-Platz schlenderten Wartende auf und ab. Seit ein paar Wochen fuhren die Straßenbahnen wieder. Obwohl sie hoffnungslos überfüllt waren, war es doch angenehmer zu fahren, als sich auf den notdürftig geräumten Straßen zwischen Militärfahrzeugen und Bombentrichtern selbst einen Weg zu suchen. Dennoch ließen viele Bahn um Bahn passieren, obwohl sie Koffer, Taschenund Rucksäcke bei sich hatten, so als kämen sie gerade von einer weiten Reise. Manche schleppten sichtlich schwer, andere Koffer waren jedoch so leicht, dass die Träger sie bei jedem Schritt vor und zurück schlenkerten. Nur wer genau hinsah, bemerkte eine gespenstische, nur scheinbar ziellose Geschäftigkeit.
    Am Rand eines von Huflattich überwucherten Bombentrichters saßen vier Männer in gestreiften Häftlingsanzügen und spielten Karten. Gerade erhöhte Einer seinen Einsatz um ein Bündel Reichsmarkscheine. Auf notdürftig zusammen gezimmerten Brettern lagen um sie herum Waren aus: Uhren, Messer,

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