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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Leben. Greifen Sie zu, heute ist die letzte Gelegenheit, Madam , morgen früh wird hier endgültig aufgeräumt mit Gesindel wie uns. Dieser schöne Platz wird vom Schwarzmarkt befreit.Dann müssen wir unsere abgemagerten Ärsche anderswo hinbewegen. Ab morgen findet hier jedenfalls kein Arschverkehr mehr statt.«
    Die alte Frau sah ihn entrüstet an.
    »Oh, verzeihen Sie, Gnädigste, das mit den Ärschen ist mir so herausgerutscht.« Er machte eine theatralische Verbeugung und fuhr schmeichelnd fort: »Wir sollten uns ein lauschigeres Plätzchen suchen. Hier sind nach meinem Geschmack zu viele Gauner und Taschendiebe unterwegs. Unsere armen Schutzpolizisten müssen aufpassen, dass sie nicht wieder mit Steinen beworfen werden.«
    Martin verfolgte das Gespräch belustigt. Anne unterhielt sich gerade mit einer Frau, so lange konnte er hier herumhängen.
    »Mit Geizen soll man nicht reizen«, fuhr der junge Mann fort, auf sein Opfer einzureden, »vor allem nicht, wenn man damit so verschwenderisch ausgestattet ist wie Sie, meine Gnädigste. Aber kommen wir zum Geschäftlichen, bevor ich mich vergesse. Let’s go professional! Darf ich mich vorstellen …« Wieder verneigte er sich wie ein erfolgsverwöhnter Schauspieler und küsste ihr die Hand, die er immer noch mit eisernem Griff gepackt hielt. » I am Saint George, called Doc Hinkebone . Facharzt für Perplexonomie. Nennen Sie mich ruhig heiliger Georg, so wie meine Kameraden von der Wehrmacht, lauter verdiente Helden. Man muss ja so aufpassen in diesen Zeiten! Diese Schwarzmarkt-Bagage hier soll doch tatsächlich an eine Witwe Torpedoöl verkauft haben, das die Übeltäter als Speiseöl ausgegeben hatten.« Seine Kumpane grinsten vom einen Ohr zum anderen. »Unerhört! Aber um auf das Elixier in dieser Phiole zurückzukommen: es hilft unter anderem gegen …«, er holte tief Luft, »Rheumatismus, Deppatismus, ja eigentlich gegen alles. Wissenschaftlich erwiesen und tausendfach in damned America erprobt. Wennich es kurz an meinem Assistenten Andras demonstrieren darf?«
    Andras, Anfang zwanzig und mit herbstbraunen, struppigen Haaren, stützte sich auf seine Krücken, hievte sein linkes Bein auf ein Trümmerteil und zog seine Hose hoch.
    »Er kommt aus dem schönen Ungarn, wo die Prinzen sich ohne Federlesen für eine schöne Frau wie Sie ein Bein amputieren lassen. Er hat den Krieg nicht wie meine tapferen Kameraden im Schützengraben verbracht, sondern in einem Sanatorium im schönen Dachauer Land.« Er klopfte gegen Andras’ Beinprothese. »Bestes bayerisches Porzellan«, lobte er mit übertriebenen Gesten. »Und nun, Gnädigste, beobachten Sie genau, was passiert.«
    Neugierig beugte sich die Alte vor, während Georg das Fläschchen entkorkte, den Zeigefinger in die Flüssigkeit tauchte und damit das Porzellan knapp unterhalb des Knies bestrich. Nach wenigen Sekunden verfärbte sich die behandelte Stelle. Zartrosa wurden die Umrisse einer Rosenblüte sichtbar. Die alte Frau bekreuzigte sich und drehte sich zu Martin, um zu überprüfen, ob er von dem Wunder gleichermaßen fasziniert war. Martin hielt jedoch die Augen starr auf die Prothese gerichtet, um nicht zu grinsen. Der Junge mit den Krücken atmete schwer, als schmerzte ihn die Prozedur.
    »Haben Sie gesehen? Damit lässt sich mit der Zeit alles heilen«, verkündete Georg und hielt das Fläschchen gegen die Sonne, »restlos alles. Aber am besten wirkt es gegen die Narben der Vergangenheit. Die verschwinden nach einer Nacht. Und tragen wir nicht alle unsere Narben zur Schau, gnädige Frau, wie unser junger Freund hier?«
    Er tätschelte Andras den Kopf, der die Hand unwillig abschüttelte. Martin machte instinktiv einen Schritt zurück, er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es besser wäre, zu gehen. Dennoch konnte er sich nicht aufraffen.
    »Sind Sie auch ein richtiger Doktor?«, fragte die alte Frau misstrauisch.
    Georg deutete mit dem Zeigefinger auf Martin.
    »Dieser Landsmann wird es Ihnen bei unserer geliebten amerikanischen Flagge bezeugen, vor der wir unser unbedecktes Haupt neigen, jetzt und für alle Zeit und in Ewigkeit, Amen.« Dabei sah er Andras fest in die Augen, bis dieser unmerklich nickte. Darauf wandte er sich an Martin.
    »Für Sie hätten wir eine wundertätige Decke im Angebot. Sie macht unsichtbar, wenn man es nötig hat.« Er schnippte mit den Fingern, worauf zwei der Soldaten Martin ein graues Wolltuch über die Schultern legten. »Grau passt zu jeder Besatzung.«
    »Ich brauch

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