Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
wahnsinnig tolle Fortschritte machen, wie kommt’s dann, dass Sie das da in Ihrer Küchenschublade hatten?«, fragte Steel und stupste den Beutel mit dem Finger an.
»Ich …« Watt ließ den Kopf hängen. »Ich hab sie manchmal spazieren gehen sehen. Im Seaton Park … Ich …« Er räusperte sich. »Kann ich ein Glas Wasser haben?«
»Nein. Und jetzt erzählen Sie uns von ihr.«
Schweigen.
Dann: »Ich hab ganz lange drüber nachgedacht …«
Wieder Schweigen.
»Kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Nein! Dr. Goulding hat gesagt, ich müsste in Kontakt mit Frauen kommen und versuchen, eine ernsthafte Beziehung aufzubauen. Eine andere Einstellung zu ihnen gewinnen. Nicht bloß … Sie wissen schon …« Er atmete tief durch und schüttelte sich. »Ich wollte nur ›Hallo‹ sagen. Das ist alles. Nur ›Hallo‹, und vielleicht noch ›Schöner Tag heute, nicht wahr?‹ – und ich dachte, sie würde vielleicht auch ›Hallo‹ sagen, und es wäre einfach nur nett, wir würden uns über alles Mögliche unterhalten und alles wäre wunderbar …« Watts Blick glitt über die Tüte mit dem blutbespritzten Stoff. Er leckte sich die Lippen. »Und ich hab wochenlang darüber nachgedacht. Dr. Goulding hat ja gesagt, ich müsste den ersten Schritt tun. Und ich hab vor dem Spiegel geübt, und es war alles perfekt …«
Wieder eine Pause, nur unterbrochen vom metallischen Sirren der Bänder in den Aufnahmegeräten – Tonband und Video –, die den Augenblick für die Nachwelt festhielten. Logan beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Aber es lief nicht nach Plan, nicht wahr, Iain?«
Watt schüttelte den Kopf. »Ich habe gesagt: ›Hallo, schöner Tag, nicht wahr?‹, und sie hat gar nichts gesagt. Ist einfach weitergegangen. Also ob ich gar nicht da wäre …«
Steel seufzte. »Und da haben Sie sie überfallen.«
»Nein! Nein, ich dachte, sie hätte mich vielleicht falsch verstanden. Oder vielleicht hatte ich ja aus Versehen die Hose offen, wissen Sie? Ohne es zu wollen …« Er sah von Steel zu Logan, suchte in ihren Gesichtern nach Verständnis. »Aber – aber die war nicht offen … Sie mochte mich einfach nicht. Sie wollte nicht mit mir reden. Ich hatte den Kontakt gesucht, genau wie Dr. Goulding es mir gesagt hatte …«
Steel machte einen weiteren Versuch. »Und dann haben Sie sie also überfallen?«
»Nein. Ich bin heimgegangen und hab Toast mit Bohnen gegessen. Und dann hab ich die Zeitung gelesen. Und da stand was drin von diesem Typ, der Frauen mit dem Messer angreift, und dass er … dass er Sex mit ihnen hat. Sex … Und ich dachte … Ich … Ich bin rausgegangen und hab auf sie gewartet … Sie hat nicht mal ›Hallo‹ gesagt …«
»Mist. Könnte es nicht sein, dass er die Geschichte bloß erfunden hat?« DI Steel stand rauchend am offenen Fenster ihres Büros. Draußen ging die Sonne schon unter; ihre letzten Strahlen ließen die Granittürmchen des Marischal College in goldenem Glanz erstrahlen, während ringsum schon die tiefblauen Schatten heranrückten, bereit, alles unter sich zu begraben.
»Ich habe Laura Shand angerufen«, sagte Logan, der auf der anderen Seite des Schreibtischs saß. »Sie kommt her, um eine formelle Identifizierung vorzunehmen.« Er versuchte eine unbekümmerte Miene aufzusetzen. »Werden Sie es DI Insch sagen?«
»Was – dass wir seine Ermittlung ruiniert haben?« Steel seufzte und beäugte das glimmende Ende ihrer Zigarette. »Ich sollte wahrscheinlich aufhören mit dem Zeug. Aber andererseits …« Sie nahm einen tiefen Lungenzug. »Scheiß drauf.« Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche, tippte eine Nummer ein und hielt es ans Ohr. »Insch? … Ja, ich bin’s, Steel … Mhm, ich habe ihm gesagt, er soll die Akten besorgen … Mhm … Nein. Watt hat ausgepackt. Macintyre hat Laura nicht vergewaltigt … Hallo? Insch?« Sie spitzte die Lippen und warf eine Kusshand in Richtung Telefon, ehe sie das Ding ausschaltete und wieder einsteckte. »Er hat aufgelegt.«
»Oh …« Logan ahnte, was als Nächstes passieren würde, und wollte auf keinen Fall in der Nähe sein, wenn es passierte. »Äh, Inspector, wenn Sie mich nicht brauchen, sollte ich vielleicht besser …« Ein lauter Knall, irgendwo draußen auf dem Flur vor Steels Büro, als hätte jemand eine Tür zugeschlagen. »Wissen Sie« – er stand auf und begann sich unauffällig in Richtung Tür zu bewegen –, »ich sollte schon mal einen Satz Fotos für die Identifizierung zusammenstellen und …« Zu spät.
Die
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