Der erste Verdacht
du nicht gehört …«
Die aufgebrachte Mutter verstummte, als sie sah, dass sich zu Füßen des Mädchens eine Pfütze bildete. Wie praktisch, dass sie auch einen Klinkerboden haben, dachte Irene. In der Diele wurde es still, und alle hörten, während es noch plätscherte, dass der Schlüssel in der Haustür umgedreht wurde. Als sie sich öffnete, war Irene klar, dass es sich hier nur um Dr. Fenton handeln konnte.
Er war groß und um die Fünfzig, sein Haar war schon etwas gelichtet, und er war eine Spur korpulent. Als er die Kriminalbeamten sah, hielt er ihnen die Hand hin, um sie zu begrüßen, was seine Frau nicht getan hatte. Ein freundliches und herzliches Lächeln breitete sich auf seinem sonnengebräunten Gesicht aus.
»Morgan Fenton«, verkündete er mit englischem Akzent.
Irene und Tommy stellten sich ebenfalls vor. Aus den Augenwinkeln sah Irene, wie seine Frau das schluchzende Mädchen wegtrug.
»Meine Frau hat mich angerufen. Ich kam, so schnell ich konnte. Was ist Kjell zugestoßen?«
Der Arzt hatte Probleme, den Namen Kjell auszusprechen. Im Übrigen war sein Schwedisch ausgezeichnet.
»Wir erzählen Ihnen das Wenige, was wir wissen, wenn Ihre Frau kommt«, antwortete Irene.
»Natürlich. Bitte, hängen Sie doch Ihre Jacken auf«, sagte Morgan Fenton und deutete auf die Garderobe.
Er führte sie in ein großes Wohnzimmer. Der Architekt hatte den Meerblick maximal genutzt. Die Fenster waren riesig, und davor zeichnete sich eine große Terrasse ab. Das Zimmer war mit Chesterfieldsofas und Tischen und Schränken aus dunklem Holz möbliert. Den Mittelpunkt bildete ein großer offener Kamin. Bilder und Vorhänge verstärkten den britischen Eindruck noch. Der Unterschied zwischen den Wohnzimmern der beiden Schwestern hätte nicht größer sein können. Es war anzunehmen, dass Morgan Fenton bei der Einrichtung mitgewirkt hatte. Sie war klassisch, britisch, altmodisch.
Irene und Tommy setzten sich auf Ledersessel, gleichzeitig betrat Tove das Zimmer. Eine hektische Röte hatte sich von ihrem Hals auf ihre Wangen ausgebreitet.
»Erzählen Sie schon! Ich muss es wissen!«, sagte sie scharf.
»Erst benötigen wir die Antworten auf ein paar Fragen«, meinte Irene ruhig.
Tove Fenton sah sie abwartend an. Sie versuchte, ihre Ungeduld zu bändigen.
»Um wie viel Uhr traf Ihre Schwester gestern bei Ihnen ein?«
»Kurz nach vier«, antwortete Tove rasch.
»Was hatte sie an?«
»Warum …? Sie trug das braune Wildlederkostüm.«
»Wie sieht dieses Wildlederkostüm aus?«
»Lange Hosen und kurze Jacke aus hellbraunem Wildleder. Wieso fragen Sie danach?«
»Reine Routinefragen. Wie wirkte sie?«
»Wie meinen Sie das?«
Die ohnehin schon angespannte Frau wirkte verärgert. Das lauter werdende Kindergeschrei aus dem Hintergrund verstärkte ihre Nervosität noch.
»Liebling, ich kümmere mich um sie«, sagte ihr Mann und stand auf.
Tove ließ sich auf seinen Platz auf dem Sofa sinken. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als versuche sie, den letzten Rest innerer Wärme zu bewahren.
»Wirkte Sanna erregt, unruhig oder …?«
»Nein, wie immer.«
»Hat es Sie überrascht, oder hatten Sie geplant, dass sie mit ihrem Jungen herkommen würde?«
»Wir hatten mehrfach darüber gesprochen, gemeinsam einen gemütlichen Abend zu verbringen. Morgan hat schließlich regelmäßig Dienst. Gestern rief mich Sanna an, und wir fanden, dass es jetzt endlich an der Zeit sei.«
»Ihre Schwester hat gesagt, Sie hätten was Gutes gegessen und dann abends Wein getrunken?«
»Ja.«
»Und Sie waren zu zweit?«
»Ja … mit den Kindern.«
»Aber die sind ja noch recht klein.«
»Tja, Ludwig, Felicia und Robin sind noch klein, aber Stoffe … also Christopher, war ebenfalls hier.«
»Wer ist Christopher?«
»Morgans Sohn. Er ist fünfzehn.«
»Wohnt er ebenfalls hier?«
»Jede zweite Woche. Diese Woche ist er hier.«
Irene würde sich mit Christopher unterhalten müssen, um sich die Zeiten bestätigen zu lassen.
»Ist er zu Hause?«
»Nein, aber er kann jeden Augenblick kommen. Er spielt Eishockey.«
»Hat Sanna, während sie hier war, irgendwann ihren Mann angerufen?«
Tove schien gründlich nachzudenken. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
Morgan Fenton betrat mit einem schlaftrunkenen Baby auf dem Arm das Zimmer. Es war ein paar Monate älter als Ludwig. Das konnte nur der kleine Robin sein. Er war müde und lehnte sein Flaumhaar an die Brust des Vaters. Dabei lutschte er so intensiv an
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