Der erste Verdacht
mitgekriegt hast, was sie so machen. Hast du gesehen, ob sie am späten Nachmittag oder Abend weggegangen sind?«
»Glaub ich nicht. Sie haben die ganze Zeit rumgealbert und gelacht.«
»Du hast nicht mit ihnen zusammen in der Küche gegessen?«
»Nee. Ich hab hier gefuttert, am Computer.«
Irene schaute auf den Schreibtisch, auf dem der Computer stand, und auf das einzige Fenster des Zimmers, das direkt dahinter lag.
»Hättest du es gemerkt, wenn der Mercedes im Verlauf des Abends weggefahren wäre?«
»Klar. Der stand ungefähr da, wo Ihr Wagen jetzt steht.«
Er nickte in Richtung Fenster. Im Schein der Straßenlaterne sah sie das Auto, mit dem Tommy und sie gekommen waren.
»Was ist eigentlich passiert? Warum weint Tove?«, fragte er plötzlich.
»Sannas Mann Kjell ist gestorben. Erschossen worden, um genau zu sein. Ermordet.«
Christopher starrte sie lange an.
Der schlaksige Halbwüchsige ließ weder Entsetzen noch Trauer erkennen, eher neugieriges Interesse. Als sei der Ermordete eine Person aus einer Fernsehserie gewesen und nicht jemand, der ihm nahe stand.
»Wie fandest du Kjell Bengtsson Ceder?« Christopher zuckte erneut mit den Achseln.
»Ich hab ihn kaum gekannt. Hab ihn nur zwei oder drei Mal gesehen.«
Das erklärte zumindest zum Teil die Unberührtheit des Jungen.
»Erinnerst du dich, was Sanna gestern Abend anhatte?« Er schien einen Augenblick nachzudenken.
»Wildlederhosen und ein blaues T-Shirt.«
»Keine Jacke?«
»Nee.«
»Sie hatte also dieses blaue, tief ausgeschnittene Top an?«
»Ja.«
Eine Röte breitete sich auf den Wangen des Jungen aus, und Irene begriff, dass Sanna mit größter Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Haus hätte verschwinden können, ohne dass er es bemerkt hätte.
Irene fielen keine weiteren Fragen mehr ein. Sie dankte Christopher für seine Hilfe.
Im Wohnzimmer war Tommy inzwischen aufgestanden und sprach mit Morgan Fenton vor der Terrassentür. Tove saß mit dem Jungen auf dem Schoß auf dem Sofa. Beide hatten sich etwas beruhigt. Der kleine Robin war auf dem besten Weg, wieder einzuschlafen. Tove schaute auf und sah Irene an.
»Sie haben mit Stoffe geredet«, stellte sie fest.
»Ja. Er hat bezeugt, dass Sanna ab halb fünf und den Rest des Abends hier war.«
»Genau«, erwiderte Tove zufrieden.
Sie stand auf und setzte den Jungen auf die Hüfte.
»Ich gebe Robin nur schnell was zu essen und lege ihn dann hin. Dann fahre ich zu Mama und Sanna«, sagte sie.
Im Auto referierte Tommy seine Unterhaltung mit Morgan Fenton.
»Er erzählte, er hätte Kjell Bengtsson Ceder seit Jahren gekannt. Auch Sanna hätte Ceder lange gekannt, bevor sie ein Paar wurden und heirateten. Sie begegneten sich, als sie noch in der Wirtschaft tätig war. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann hat Morgan Fenton einen Bruder, der bei einer Bank in London arbeitet. Seine Bank war in ihre Internetgeschäfte verwickelt. Ceder kannte diesen Banker auch. Sie haben auch gemeinsame Geschäfte gemacht, als das Hotel Gothenburg gebaut wurde. Alles recht unübersichtlich, aber so habe ich das jedenfalls verstanden.«
»Hm. Es gab also bereits mehrere Jahre vor der überraschenden Hochzeit Berührungspunkte. Eine Bank in London, bei der Morgan Fentons Bruder angestellt ist, und die Freundschaft zwischen Sannas Schwager Morgan und ihrem späteren Mann Kjell.«
»Scheint so zu sein.«
»Der Verdacht liegt nahe, dass Morgan Fenton seiner Schwägerin bei den Kontakten zur Bank in London behilflich war. Über seinen Bruder«, überlegte Irene.
»Ein klarer Verdachtsmoment. Aber Fenton sagte, er sei überrascht gewesen, dass man Ceder in der Villa in Askim erschossen habe. Er fand, es wäre nicht so erstaunlich gewesen, wenn das in der Wohnung in der Stadt passiert wäre. Offenbar hielt sich Ceder nur selten in dem Haus auf.«
»Wieso das?«
»Laut Fenton war Ceder von der Villa nicht sonderlich begeistert. Sie ist mehr eine Schöpfung von Sanna. Sie wollte mit dem Jungen irgendwo wohnen, wo er mehr Auslauf hat.«
»Hatte Ceder das Haus für sie und den Sohn gebaut?«
»Diesen Eindruck hatte ich.«
»Seltsam. Es ist schließlich ein Riesenkasten. Hat sicher ein Vermögen …«
Irene unterbrach sich. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen.
»Glaubst du, sie wollten sich scheiden lassen?«
»Möglich.«
»Als reiche Witwe steht Sanna Kaegler finanziell vielleicht besser da denn als geschiedene Mutter.«
»Ebenfalls möglich.«
»Du hast selbst gesagt, dass sie rein
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