Der erste Verdacht
herwehte, und suchten sich vorsichtig ihren Weg zur Haustür. Der Neubau schien fertiggestellt zu sein, doch das Grundstück war noch eine einzige große Schlammwüste. Ein Tritt neben den Plattenweg, und schon blieb möglicherweise der Schuh im Lehm stecken. Obwohl der Garten noch nicht angelegt war, fiel Irene Huss die phantastische Lage des Hauses auf. Es thronte auf einer Anhöhe und bot eine weite Sicht über das Wasser des Askimviken. Wo bekam man nur so ein Baugrundstück her? Das Haus war aus terrakottafarbenen Ziegeln und viel Glas. Das von einem Stararchitekten entworfene Haus hatte mit Sicherheit ein Vermögen gekostet.
Tommy Persson blieb stehen und betrachtete das Cabrio. Beeindruckt pfiff er durch die Zähne und sah Irene viel sagend an. Dann ging er weiter und klingelte an der Haustür. Sofort öffnete eine Polizistin in Uniform. Sie war jung und wirkte sehr ernst.
»Hallo. Tommy Persson und Irene Huss vom Dezernat für Gewaltverbrechen.«
»Hallo. Stina Lindberg. Die Spurensicherung ist auch gerade eingetroffen«, entgegnete ihre uniformierte Kollegin.
Im Haus schrie ein Kind. Nervös schaute Stina Lindberg in die Richtung, aus der der Lärm kam, und versuchte, rasch zu erklären: »Das ist das Baby. Ihr Baby … seine Frau hat ihn gefunden … ihren Mann … als sie nach Hause kam.«
Stinas bleiche Wangen und ihr verbissenes Ringen um Fassung verrieten, dass ihr die Situation zu schaffen machte. Ein Mord machte immer allen zu schaffen, aber noch schlimmer war es, wenn Kinder Teil des Szenarios waren.
Ein hoch gewachsener Polizist mit Schutzkleidung über der Uniform trat in die geräumige Diele. Irene und Tommy kannten ihn gut. Sie begrüßten sich herzlich. Inspektor Magnus Larsson informierte sie über den Stand der Dinge, während sie sich ebenfalls Schutzoveralls sowie Hauben, Plastikhandschuhe und Plastikschlappen überzogen.
»Die Frau alarmierte den Notruf und sagte, sie habe ihren Mann erschossen aufgefunden. Wir trafen etwa eine Viertelstunde später ein. Da war sie noch recht gefasst, aber kurz darauf erlitt sie einen Zusammenbruch. Die Telefonnummer ihrer Mutter war in ihrem Handy gespeichert. Ich hab sie bereits angerufen. Schließlich muss sich jemand um das Kind kümmern. Die Mutter ist unterwegs. Aber es wird noch dauern, sie kommt aus Borås.«
»Wie heißen die Leute, die hier wohnen?«, fragte Irene.
»Sanna Kaegler-Ceder und Kjell Bengtsson Ceder.«
Irene meinte, beide Namen schon einmal gehört zu haben, konnte sie jedoch nicht einordnen. Tommy schien es genauso zu gehen. Fragen konnte sie ihn nicht, denn in diesem Moment plärrte das Baby im hinteren Teil des Hauses los. Alle drei Beamten eilten auf das Geräusch zu.
Das Wohnzimmer mit seiner Fensterwand aufs Meer hinaus war überaus geräumig. Die Aussicht war wirklich phantastisch. Zusammengesunken saß eine junge Frau in einem drehbaren, eierschalenfarbenen Ledersessel. Sieben weitere solcher Sessel waren um einen elliptischen Glastisch gruppiert. Unter dem Tisch lag ein flauschiger Teppich, ebenfalls eierschalenfarben.
Die helle Farbe kontrastierte eindrucksvoll mit dem dunklen, terrakottaroten Klinkerboden. Die Wände waren ein paar Nuancen heller als die Ledersessel. Ein großes modernes Ölgemälde bildete den Blickpunkt an der fast weißen Wand.
Irene und Tommy begrüßten die beiden uniformierten Kollegen, die neben der Frau standen. Dann betrachteten sie die erstarrte Gestalt im Sessel genauer. Irene kam das Gesicht vage bekannt vor.
Sanna Kaegler-Ceder starrte dumpf vor sich hin. Ihre bleiche Farbe und ihre versteinerte Miene verwandelten ihr Gesicht in eine Gipsmaske. Zu ihren Füßen stand eine Babywippe aus hellblauem Cord. Irene schätzte, dass das Kind höchstens ein halbes Jahr alt war. Es schrie aus Leibeskräften und war vor Anstrengung hochrot im Gesicht.
An die Glaswand schloss sich ein mehrere Meter breiter Durchbruch in ein verglastes, achteckiges Zimmer an. Von diesem aus führte eine Wendeltreppe aus Stahl ins Obergeschoss. Der Ehemann von Sanna Kaegler-Ceder lag unter der Treppe. Die beiden Männer von der Spurensicherung, die neben der Leiche standen und ihre Fotoausrüstung wegpackten, nickten Irene und Tommy zu, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Wir brauchen noch eine Viertelstunde«, meinte der ältere.
»Okay«, erwiderte Tommy.
Irene trat auf Sanna Kaegler-Ceder zu und berührte sie sachte an der Schulter. Sie schien es nicht einmal zu spüren.
»Hallo. Ich heiße Irene Huss.
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