Der erste Weltkrieg
Wilhelm II. dem Reichskanzler den Laufpass gab. Hiernach verschlechterten sich die Beziehungen zu Frankreich und Russland weiter. Im August 1892 unterzeichneten Paris und St. Petersburg eine Militärkonvention, der im Januar 1893 ein offizieller Allianzvertrag folgte.
Um die Jahrhundertwende war es dann England, das durch die «Weltpolitik» Wilhelms II. zunehmend beunruhigt wurde und langsam seine bis dahin gepflegte «Splendid Isolation» aufgab. Diese Umorientierung der britischen Außenpolitik brachte eine Annäherung an Frankreich mit sich, die im April 1904schließlich mit dem Abschluss der Entente Cordiale besiegelt wurde. Drei Jahre später, im August 1907, kam es zwischen St. Petersburg und London zu einer Einigung über ihre seit langem vor allem in Südasien schwelenden Konflikte. Mit der Entstehung der Dreierentente war die Aufteilung Europas in zwei große Bündnisblöcke komplett, die sich dann 1914 im Weltkrieg gegenüberstanden.
Diese Verfestigung wurde begleitet und z.T. vorangetrieben durch ein Wettrüsten, das um die Jahrhundertwende zuerst als ein Seewettrüsten zwischen Deutschland und England begann, ehe es sich ab 1911/12 auf die Vorbereitung der beiden Blöcke auf einen Landkrieg verlagerte.
Das Seewettrüsten war auf eine Entscheidung Wilhelms II. und seines Marinestaatssekretärs Alfred von Tirpitz zurückzuführen, die deutsche «Weltpolitik» durch den Bau einer Schlachtflotte abzustützen. Diese Schlachtflotte sollte – wie wir heute wissen – groß genug sein, um den Engländern nicht nur am Verhandlungstisch koloniale Konzessionen abzutrotzen, sondern auch um im Extremfall der Royal Navy in einer großen Schlacht in der Nordsee militärisch Paroli bieten zu können.
Die zu Recht misstrauischen Briten verwickelten Tirpitz nach der Jahrhundertwende daraufhin in ein Wettrüsten, das der Marinestaatssekretär um 1910/11 verlor. Es fehlte dem Kaiserreich an der finanziellen Kraft, die Royal Navy sowohl in der Zahl als auch in der Größe seiner Schlachtschiffe «überbauen» zu können. Der Fehlschlag der Kaiserlichen Marine brachte die preußisch-deutschen Generäle auf den Plan, die jetzt darauf drängten, dass Deutschland – wenn seine Flotte schon zu schwach war – wenigstens zu Lande auf einen Konflikt mit der Triple Entente vorbereitet sein müsse.
Schließlich ist der Kriegsausbruch 1914 auch mit der imperialistischen Expansion der Europäer nach Asien, Afrika und Lateinamerika in Zusammenhang zu bringen. In den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begannen die Europäer jenen berühmt-berüchtigten «Scramble for Colonies», in dessen Verlauf so gut wie alle von ihnen noch nicht besetzten Teile der Erde unter ihnen aufgeteilt und förmlich in die schonbestehenden überseeischen Besitzungen einverleibt wurden. Die kolonialen Rivalitäten, die zwischen ihnen in Übersee entstanden, wurden schließlich so stark, dass sie auf Europa zurückschlugen und die dort schon schwelenden Konflikte weiter verschärften.
Doch so stark diese Faktoren in einem internationalen System, das nach dem Prinzip eines sozialdarwinistischen Überlebenskampfes organisiert war und dem eine zentrale, den Frieden sichernde Autorität fehlte, auch auf die jeweilige Entwicklung der Großmächte einwirkten, Europas innenpolitische Kräfte und Konflikte sind ebenfalls in Rechnung zu stellen. In dem multinationalen Osmanischen und Habsburger Reich stand die Regierung einerseits unter dem Druck sich zunehmend sammelnder nationaler Minderheiten, die eine größere Autonomie, wenn nicht gar die Unabhängigkeit anstrebten. Gegen sie machten diejenigen Bewegungen mobil, die den Status quo auf jeden Fall erhalten wollten und dabei auf die Vorherrschaft einer ethnischen Gruppe drängten.
In der Sorge um die Erhaltung des Bestehenden griffen vor allem die zentraleuropäischen Monarchien und das Zarenreich immer wieder zu Polizei und Armee und zu Propagandafeldzügen, um die zentrifugalen Tendenzen der ethnischen Minderheiten zu unterdrücken. Außer der Sorge vor einem Zerfall dieser Reiche bestand eine innenpolitische Furcht vor der wachsenden Zahl von Fabrikarbeitern, die im Zuge der Industrialisierung aus der Landwirtschaft in die Städte gewandert waren. Dort bildeten sie ein Proletariat, das ein besseres Leben und eine Teilhabe an der politischen und wirtschaftlichen Macht anstrebte und seine Erwartungen über z.T. große Gewerkschaften und politische Parteien artikulierte. Wo diese
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