Der erste Weltkrieg
würden.
Die Zukunft erschien unter diesen außen- und innenpolitischen Umständen besonders den Militärs sehr düster. In Wienwar es der Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf, der z.B. gegenüber dem Leiter der Operationsabteilung, Oberst Joseph Metzger, am 3. März 1914 meinte, ob man wirklich «warten solle, bis Frankreich und Russland bereit wären, uns gemeinsam anzufallen, oder ob es nicht wünschenswerter wäre, dass der ‹unvermeidliche› Konflikt früher beglichen würde; auch die slawische Frage gestalte sich immer schwieriger und gefährlicher». Eine Woche zuvor hatte der preußisch-deutsche Generalstabschef, Helmuth von Moltke, dem Berliner Auswärtigen Amt eine Denkschrift zugestellt, in der er ebenfalls auf die Bedrohung durch das neuerliche russische Aufrüstungsprogramm zu sprechen kam.
Als sich die beiden Generalstabschefs dann einige Wochen später in Karlsbad trafen, war es ihnen ein Leichtes, sich gegenseitig zu überzeugen, dass die Zeit gegen die Mittelmächte arbeitete. Nach Berlin zurückgekehrt, teilte Moltke dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gottlieb von Jagow, seine Überlegungen mit, woraufhin dieser folgende Notiz über die Unterredung anfertigte: «Die Aussichten in die Zukunft bedrückten ihn [Moltke] schwer. In 2 bis 3 Jahren werde Russland seine Rüstungen beendet haben. Die militärische Übermacht unserer Feinde wäre dann so groß, dass er nicht wüsste, wie wir ihrer Herr werden könnten. Jetzt wären wir ihnen noch einigermaßen gewachsen. Es blieb seiner Ansicht nach nichts übrig, als einen Präventivkrieg zu führen, um den Gegner zu schlagen, solange wir den Kampf noch einigermaßen bestehen könnten. Der Generalstabschef stellte mir demgemäß anheim, unsere Politik auf die baldige Herbeiführung eines Krieges einzustellen.»
Sechs Wochen später wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger und seine Frau im bosnischen Sarajewo von serbischen Nationalisten ermordet; weitere vier Wochen später zogen Millionen von jungen Männern in den Ersten Weltkrieg, der für viele von ihnen einen oft grauenvollen «Heldentod» brachte. Um den Ablauf jener dramatischen Wochen zwischen dem Attentat in Bosnien und dem Kriegsausbruch voll zu begreifen, müssen vorweg einige grundlegende Faktoren erwähnt werden.
1. Wie in allen schweren Krisen gab es unter den Verantwortlichen auch im Juli 1914 erhebliche Meinungsverschiedenheiten in Fragen der politischen Strategie und Taktik. Selbst wenn es sich damals nur um einen kleinen Kreis von Entscheidungsträgern handelte und der Durchschnittsbürger ebenso wie bestimmte Elitegruppen bei dem Entschluss zum Kampf nicht gefragt oder gar eingeweiht wurden, Einstimmigkeit bestand überall allenfalls, als der Mobilmachungsbefehl unterzeichnet wurde. Bis dahin gab es gerade auch in Berlin und Wien schwere Zusammenstöße zwischen zwei Lagern, zwischen den «Falken» und den «Tauben».
2. Die Entscheidungsträger kannten die Zukunft nicht und konnten daher die Folgen ihrer Entschlüsse nicht voll erkennen. Das förderte eine Neigung, Risiken einzugehen, die sich hernach als viel zu hoch und schließlich gar als Illusionen erwiesen.
3. Die Jahre vor 1914 waren noch nicht die Zeit, in der man wie am Schachbrett verschiedene Optionen als Szenarien vorweg systematisch durchspielte, um mögliche Reaktionen des Gegners auf die eigene Strategie zu prüfen und diese dann entsprechend zu modifizieren. Welche Kalkulationen im Juli 1914 auch immer angestellt wurden, sie waren mehr Spekulationen, die die Möglichkeiten der reagierenden Großmächte durchweg grob unterschätzten.
Vor diesem Hintergrund sind als Erstes die Entscheidungen in Wien zu sehen, wo der durch das Attentat von Sarajewo sehr direkt betroffene Franz Joseph I. saß und von woher die erste Antwort auf die Ereignisse vom 28. Juni zu erwarten war. Denn niemand in Europa erwartete, dass der greise Kaiser die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers und seiner Frau durch serbische Nationalisten in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo einfach hinnehmen würde. Tatsächlich meldete sich Generalstabschef Conrad, der seit längerem auf eine solche Gelegenheit wartete, sofort zu Wort. Er sprach sich für einen harten Kurs gegenüber Serbien aus, das man sofort als den angeblichen Drahtzieher hinter der Verschwörung von Sarajewo ausgemacht hatte. Ihm sekundierte Alexander Krobatin, der Kriegsminister. Hingegen riet der ungarische MinisterpräsidentStefan Graf
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