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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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sich auf und funkelte ihn an. „Es stimmt. Alle Männer sind Ungeheuer. Niemand wird einer Frau helfen. Du willst doch, daß ich dir bei der Erfüllung deines Jobs helfe, damit du, wenn du das Mädchen findest, noch einen Orden bekommst, stimmt’s? Du empfindest gar nichts für sie.“ Ihr Gesicht verdunkelte sich dermaßen, daß ich mich wieder an die finsteren Wolken erinnert fühlte.
    Ich mußte sie da herausholen, aber ich wußte nicht, wie ich das anstellen sollte.
    Ahmed ließ einen Löffel gegen die Teetasse klicken und sagte mit unerwartet lauter Stimme: „Wie laufen die Geschäfte hier, Bessie? Zahlen sich die neuen Mädchen aus?“
    Sie sah überrascht auf die Tasse und blickte sich dann irritiert in ihrem Lokal um. „Nicht viel Kundschaft da im Moment. Wahrscheinlich nicht die richtige Zeit. Die Mädels sind in der Küche.“ Bessies Gesicht nahm wieder ihre alten Züge an. Sie setzte die Maske der freundlichen Bedienerin auf, wurde wieder rundlich und lächelte. „Sollen die Mädchen dir was bringen, Ahmed?“
    Als sie sich freundlich zu mir umwandte, klangen ihre Worte noch weniger mechanisch. „Und Sie, junger Mann? Womit kann ich Ihnen dienen? So wie Sie dastehen, sehen Sie ziemlich energiegeladen aus. Die meisten jungen Leute mögen unsere türkischen Honigbrötchen.“ Ich war zwar immer noch nicht ganz in ihrem Brennpunkt – ich meine, sie nahm mich immer noch nicht hundertprozentig wahr, aber ich lächelte ihr zu, denn ich freute mich, daß es ihr jetzt besser ging.
    „Nein, danke, Ma’am“, sagte ich und schaute Ahmed an, weil ich wissen wollte, was er als nächstes tat.
    „Bessies Honigbrötchen haben Weltruf“, sagte Ahmed. „Sie triefen fast, soviel Honig ist in ihnen drin, und sie haben einen so delikaten Geschmack, daß sie einem fast den Mund verbrennen.“ Er stand leichtfüßig auf und sah ein bißchen abgespannt aus. „Schätze, ich nehme ein Dutzend mit.“
    Die dicke Frau saß da und blinzelte ihn an. Ihr rundes Gesicht sah nun nicht mehr krank und eingefallen aus, nur ein wenig faltig und ausdruckslos; wie man eben aussieht, wenn man morgens in den Spiegel schaut. „Türkische Honigbrötchen“, wiederholte sie. „Ein Dutzend.“ Sie bimmelte mit einem Glöckchen, das auf der Mitte des Tisches stand und erhob sich.
    „Warte unten auf mich“, sagte Ahmed zu mir. Dann wandte er sich der Frau zu. „Weißt du noch, als diese Sektierer-Tagung stattfand und die alle reinkamen, Hummer bestellten und aus der Hand gelesen haben wollten? Wo hast du bloß all die Hummer hergeholt?“ Sie gingen zusammen zur Theke, auf der allerlei Kuchen und Brötchen ausgestellt waren. Ein hübsches Mädchen in einem gestärkten Kittel kam aus der Küche und stellte sich dahinter.
    Bessie lachte. Sie begann mit einem nervös klingenden, hellen Gekicher und endete mit einem tiefen „Hoho“, das sich anhörte wie das Gelächter des Weihnachtsmannes. „Und ob ich mich daran erinnere! War das ein Chaos! Ich hing am Telefon und versuchte in zehn Minuten zwanzig Handleser zusammenzukriegen! Du kannst dir sicher vorstellen, wie dankbar ich war, als du diese zwanzig jungen Leute rüberschicktest, die den Leuten dann aus der Hand lasen. Ich war zuerst ungeheuer nervös, aber dann merkte ich, daß sie ihnen wirklich zuhörten. Zuerst dachte ich, du hättest irgendwo eine ganze Zigeunersippe aufgetrieben. Hoho! Ich hatte keine Ahnung, daß es sich um eine Polizeischüler-Klasse aus der Persönlichkeitsanalyse handelte.“
    Ich ging zur Tür und auf den Bürgersteig hinaus. Ein paar Minuten später kam Ahmed die Rolltreppe herunter. Wieder nahm er je zwei Stufen mit einem Schritt. Er kam wie eine Rakete zu mir hinaus. „Hier, trag das.“ Er warf mir die Papiertüte mit den türkischen Honigbrötchen zu. Der warme, süße Duft roch herrlich. Ich nahm die Tüte und steckte eine Hand in sie hinein.
    „Du sollst sie nur tragen, nicht essen.“ Ahmed lief auf die Treppe der U-Bahn zu, die auf den ersten Untergrund-Gehweg führte.
    Ich nahm die Hand aus der Tüte und folgte ihm. Als ich langsam die Treppe hinunterging, verspürte ich ein Schwindelgefühl, obwohl ich nicht zwei, sondern stets nur eine Stufe nahm. Als ich unten ankam, sah Ahmed sich die Schilder an, die in die unterschiedlichsten Richtungen wiesen und bekanntgaben, welches Gleis in welchen Stadtteil führte. Zum ersten Mal sah ich ihn besorgt und unsicher. Er wußte nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte.
    „Wir wissen, daß das

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