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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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Opfer weiblich, erwachsen, jünger als Bessie, möglicherweise schwanger und irgendwo in einer Falle sitzt, in der es weder Nahrung noch Wasser gibt“, dachte er laut vor sich hin. „Sie hat Hilfe von Menschen erwartet, die sie liebt. Sie wurde enttäuscht. Jetzt macht der Gedanke an Liebe sie wütend, und sie haßt den Gedanken, daß es irgend jemanden geben könnte, der ihr hilft.“
    Ich dachte an Bessies plötzlich krank und eingefallen aussehendes Gesicht, nachdem das Opfer auf ihr geistiges Hilfsangebot eingeschlagen hatte. Daß das Opfer wütend war, schien mir die Untertreibung des Jahres zu sein. Ich erinnerte mich an den wilden, bedrohlichen Himmel und sah, wie die Leute an uns vorbeieilten. Sie waren bleich und ängstlich. Zwei Häschen, die wirklich schlimm aussahen, kamen vorbei. Die eine hielt ihren Magen fest und murmelte etwas von Alka-Seltzer; die andere hatte rotgeränderte Augen, als hätte sie geweint. Kann eine einzige Person in Not dies einer ganzen Stadt voller Menschen antun?
    „Wer ist sie, Ahmed?“ fragte ich. „Ich meine, was ist sie überhaupt?“
    „Ich verstehe es selber nicht“, sagte Ahmed. Plötzlich überfiel er mich wieder mit dieser Frage und benutzte dabei diese tiefe, hypnotisch klingende Stimme, die mich rückwärts in den schwarzen Wirbel aus Angst vor dem Tode warf. „Wenn du Durst hättest, wenn du sehr durstig wärst und es nur eine Stelle in der Stadt gäbe, an der du einen Schluck kriegen könntest …“
    „Ich habe aber keinen Durst.“ Ich versuchte zu schlucken, aber meine Zunge fühlte sich plötzlich geschwollen an. Mein Mund schien ausgetrocknet und mit Sand gefüllt zu sein. Meine Zunge war wie ein ausgedörrter Holzklotz. Die Welt kippte zur Seite. Ich stellte mich breitbeinig hin, um nicht umzufallen. „Ich habe Durst. Wie hast du das gemacht? Ich möchte zur White-Horse-Taverne in der Bleecker Street gehen und eine Gallone Ginger Ale und eine Flasche Bier trinken.“
    „Du bist mein Kompaß. Laß uns gehen. Ich geb einen aus.“
    Ahmed lief die Subway-Stufen zur Eighth Avenue hinunter bis zu den Sesselgleisen. Ich folgte ihm und hielt dabei die Tüte mit den süß duftenden Brötchen fest wie einen Koffer voller schwerer Steine. Der Geruch machte mich hungrig und schwach. Ich konnte zwar immer noch gehen, aber ich war mir verdammt sicher, daß man mich auf einer Tragbahre hier herausholen mußte, wenn Ahmed mich noch einmal in diese dumpfe Stimmung versetzte.
    Auf den Gleisen verbanden wir unsere Sessel, und Ahmed lenkte sie so lange von Band zu Band, bis wir eine gute Geschwindigkeit erreicht hatten. Die Sessel fuhren durch die Tunnels, und wir kamen an hellerleuchteten Schaufenstern vorbei, hinter denen hübsche Mannequins tanzten und allerlei Dinge zum Kaufen ausgestellt waren. Sonst sah ich immer auf, wenn wir in die Nähe des Waldbrandes und der dreidimensionalen Bilder der Wasserfalle vorbeikamen, aber heute nicht. Ich saß da, hatte die Ellbogen auf den Knien liegen und ließ den Kopf hängen. Ahmed musterte mich besorgt. Er runzelte die dunklen Augenbrauen, und seine schwarzen Augen begutachteten mich von oben bis unten, als sei ich ein medizinisches Diagramm.
    „Mann, jetzt würde ich wirklich gern die Selbstmord-Statistik sehen. Ich brauche dich nur ansehen, dann weiß ich, wie sie aussieht.“
    In mir war aber noch genug Leben, um mich verärgert zu fühlen. „Ich hab’ meine eigenen Gefühle, das sind nicht die von irgendeinem Häschen. Ich bin schon den ganzen Tag krank gewesen. Ein Virus oder so was.“
    „Verdammt noch mal, kapierst du es denn nie? Wir müssen das Mädchen retten, weil es sendet. Und es sendet, daß es sich elend fühlt!“
    Ich schaute auf den Boden zwischen meinen Füßen. „Eine lausige Begründung. Warum könnt ihr sie nicht retten, nur weil sie in Schwierigkeiten ist? Laß sie doch senden. Auf der High School haben wir gelernt, daß jeder sendet.“
    „Hör zu …“ Ahmed beugte sich vor, weil er mir einen Gedanken erklären wollte. Seine Augen fingen an zu glitzern, als er in den Bann dieser Idee geriet. „Vielleicht sendet sie zu laut. Die Statistik-Abteilung hat alle Daten abgespult, die Trends und Wellen gemeinschaftlichen Handelns betreffen. Man nimmt an, daß Leute, die zu laut senden, Verursacher solcher Massenaktionen sind.“
    „Krieg’ ich nicht rein, Ahmed.“
    „Ich meine, wenn man feststellt, daß viele Leute an einem wolkigen Tag nach Coney Island rausfahren und nicht genügend U-Bahnen

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