Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
Vom Netzwerk:
Seite an, wie ein Fremder.
    Ich ging in den grauen Tag hinaus und hielt die Papiertüte unter dem Arm. Die Flasche Bockbier zerrte an mir wie ein Stein. Ich hätte diesen verrückten, krank machenden Job als Aufspürer einfach vergessen können. Ich hätte einfach nach ein paar Leuten wie Jean Fitzpatrick Ausschau halten und ihnen erzählen können, wie bescheuert dieser Tag gewesen war, daß ich es nicht hatte aushalten können und Mücke gemacht hatte. Irgendwann wäre die Geschichte schon lustig geworden und hätte die Welt zu einem Ort gemacht, an dem ich's hätte aushalten können.
    Ahmed holte mich ein und legte eine Hand auf meinen Arm. Ich mußte mich zurückhalten, um nicht rumzuwirbeln und ihm eine reinzuhauen. Ich sah einfach geradeaus.
    „Bist du sauer?“ fragte er und ging um mich herum, um mein Gesicht zu sehen. „Wie fühlst du dich?“
    „Meine Gefühle gehen nur mich was an“, sagte ich. „Klar? Hier lebt irgendwo ein Mädchen, das ich besuchen möchte. Ich möchte sichergehen, daß mit ihr alles in Ordnung ist, klar? Ich will dich bei deiner Rettungsarbeit nicht aufhalten. Also warte nicht auf mich, verstanden?“ Ich ging weiter, aber die Pest folgte mir auf dem Fuße. Und dabei hatte ich doch laut und deutlich gesagt, daß ich keine Gesellschaft haben wollte. Ich konnte ihm ja schlecht aufs Maul hauen, schließlich sind wir ja mal Freunde gewesen.
    „Kann ich mitkommen?“ fragte er freundlich. „Vielleicht kann ich helfen.“
    Ich zuckte die Achseln und marschierte auf den Fluß zu. Welchen Unterschied machte das schon? Ich war müde, und es war ziemlich viel los in New York. Irgendwann mußte Ahmed ja wieder seinen Geschäften nachgehen. Als ich mir vorstellte, wie ich mit dem Mädchen reden würde, wurde mir ganz warm. Es war entspannend. Wir würden einen Kaffee trinken, uns gegenseitig ein paar doofe Witze erzählen und die ganze Welt vergessen.
    Das Haus der Fitzpatricks gehörte zu diesen verwitterten alten Kästen, die das letzte Jahrhundert übriggelassen hat. Damals war die Stadt noch ein Kaff. Man hatte das Haus in liebevoller Handarbeit restauriert, und ein Trupp von freiwilligen Anstreichern hatte ihm neuen Glanz verliehen. Es leuchtete weiß und hatte rote Türen und Fensterläden. Unter den Fenstern hingen Blumenkästen, in denen grüne Ranken, Pflanzen und wilde Blumen blühten. Über dem ganzen Haus verliefen die Hochstraßen des Hudson River Drive. Der Verkehr, der dort drüber rollte, brachte die Luft zum Rumpeln und den Boden unter meinen Füßen zum Erzittern.
    Ich klopfte an die hellrote Tür. Niemand kam. Ich fand einen Klingelknopf daneben und drückte ihn. Ich hörte es zwar bimmeln, aber drinnen rührte sich nichts.
    Die Häuser in den gemischten Zonen sind meist voller Gäste. Tag und Nacht ist jemand da: Reisende, die tolle Projekte planen oder sich Sachen ausgedacht haben, die man anderswo nicht gebrauchen kann. Sie alle können sich der Toleranz ihrer an allem interessierten Gastgeber erfreuen: Leute, die aus irgendwelchen Kommunen ausgestiegen sind, oder kraftlos aussehende Flüchtlinge aus den Studenten- oder Forschungsbetrieben, die einen Nervenzusammenbruch hinter sich haben und aus der Tretmühle raus müssen, um ihn auszukurieren. Und niemand hatte etwas dagegen, wenn man seinen Kopf hineinsteckte und nach Aufmerksamkeit verlangte, wenn man niemanden durch Klopfen oder Klingeln zum Aufstehen bewegen konnte. Ich drückte die Klinke, um reinzugehen. Aber sie war fest. Abgeschlossen.
    Ich kam mir vor wie jemand, den man nicht im Hause haben will. Da kommt dieser Riesentrottel wieder … George, der nur Muskeln im Schädel hat … schließ bloß die Tür ab. Es war wirklich ein mieser Tag, aber was sollte ich nun machen? Ich konnte nirgendwo anders hingehen.
    Ich stand zitternd da und bewegte die Klinke wie ein Irrer. Aber die Tür ging nicht auf. Statt dessen erzeugte die Klinke ein rasselndes Geräusch, wie das von einer Kette oder einem Wecker im Krankenhaus. Der Klang ging mir durch und durch und ließ beinahe meine Hand einfrieren. Ich stellte mir vor, daß hinter der Tür irgendwas war, das gleich die Tür öffnen würde: ein Ungeheuer mit einem Totenschädel, das auf mich wartete.
    Ich wandte der Tür den Rücken zu und ging vorsichtig und leise die beiden Stufen zum Bürgersteig hinunter. Ich war so in Gedanken versunken, daß ich mir einbildete, die Tür ginge hinter mir auf und quietschte. Ich dachte sogar, da sei ein kalter Wind, der von hinten

Weitere Kostenlose Bücher