Der Facebook-Killer
Schreibtisch hinweg zu Mafro. Dieser verbarg seine quälende Angst um Zoë hinter einer gleichmütigen Miene.
Am anderen Ende der Leitung war es still. Bavarois fasste sich ein Herz und fuhr fort: „Wir können belegen, dass der Mann, der hier in den Medien bereits reißerisch als ‚der Facebook-Killer‘ bezeichnet wird, sich seine Opfer hauptsächlich, wenn nicht gar ausschließlich auf ihrer Plattform gesucht hat. Wir möchten, dass Sie uns Zugang zu seinem Account gewähren. Rückhaltlos. Wir brauchen alles. Seine …“
„Statusmeldungen“, soufflierte Mafro.
„… seine Statusmeldungen, seine hochgeladenen Fotos und Videos, die Nachrichten Dritter, die er geteilt hat, die Apps, die er verwendet hat, wann er wie lange online war, IP-Adressen, private Nachrichten, rundweg alles.“
Weiter Schweigen.
„Zentralen Aussagewert haben für uns außerdem seine Chatprotokolle“, schob Bavarois noch nach.
„Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir erwarten“, sagte der Mann am anderen Ende nach einer kurzen Kunstpause.
„Das sagte ich doch“, blaffte Bavarois. „Verschaffen Sie uns Zugang zu dem Kram.“
„Das kann ich nicht. Es tut mir leid. Datenschutz, Sie verstehen. Mir sind die Hände gebunden.“
„Von Datenschutz halten die doch sonst auch nicht so viel“, dachte Mafro, dann wuchtete er sich aus dem Besucherstuhl hoch, schnappte sich den Hörer aus Bavarois’ Hand und schnauzte hinein:
„Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie Clown. Da draußen schleicht ein Serienkiller durch unsere Stadt, der sich auf Facebook an Frauen ranmacht und sie dann tötet. Nach unserem Ermittlungsstand ist Facebook also sozusagen Teil seiner Mordwaffe. Ich schwöre Ihnen, ich lasse Sie dichtmachen.“
„Wer auch immer Sie sind, Monsieur“, sagte Langley mit kultivierter, fast amüsiert klingender Stimme, „so weit reicht ihr Arm nicht. Ich arbeite im Bereich soziale Netzwerke, seit das zum lukrativen Job geworden ist, und ich sage Ihnen: Kein aufgeregter kleiner Bulle pisst uns ans Bein.“
„Das mag sein“, parierte Mafro, „aber zumindest sorge ich für einen Shitstorm allererster Güte im Netz. Ich bin selbst Social-Media-Experte, ich weiß, wie man so was macht. Das wird so laut rauschen im virtuellen europäischen Blätterwald, dass keine einzige Frau mehr auch nur eine winzige Information über sich auf Facebook preisgeben wird. Ich sehe schon die Blogeinträge vor mir: ‚Facebook-Daten erleichtern Serienkiller die Opferwahl‘, ‚Der Frauenmörder mit dem Facebook-Profil‘ … Sie haben recht, Langley, vielleicht kriege ich Sie nicht vom Netz, aber ich werde ihnen so weh tun, wie ich nur irgend kann.“
Das schien einen Nerv getroffen zu haben.
„Sie kriegen, was Sie brauchen, wenn Sie mir einen richterlichen Beschluss faxen.“
Damit legte Langley auf.
„Das hätte ins Auge gehen können“, sagte die Wölfin, die dem Gespräch fasziniert gelauscht hatte. „Diese Unterhaltung war kurz davor, in die andere Richtung zu kippen. Er war bereit zu mauern.“
„Das habe ich auch mitbekommen. Sie dürfen mir glauben, wenn ich sage, ich war mir des Risikos bewusst“. Zwinkernd schloss er ein Auge. „Aber wir haben gewonnen, und das ist alles, was zählt, oder?“
Von da an ging alles sehr zügig. Nie zuvor hatte Bavarois schneller ein richterliches Ersuchen um Amtshilfe an die irischen Kollegen sowie einen Bittbrief an Facebook Europa auf offiziellem Papier der obersten französischen Strafverfolgungsbehörden bekommen. Nach der Mittagspause lag alles Erforderliche auf seinem Schreibtisch.
Xavier Arnaud, der persönliche Referent des Justizministers Michel Mercier, rief gegen vierzehn Uhr an, um sich für seinen Chef nach dem aktuellen Stand der Dinge zu erkundigen. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie sehr die Presse allen betroffenen Stellen im Nacken saß. „Mir ist sehr daran gelegen, diese Sache rasch aus der Welt zu schaffen“, legte er Bavarois ans Herz, „und dem Herrn Minister auch.“
Ganz Paris schien nur noch ein Thema zu kennen: den Facebook-Killer und die vermeintliche Unfähigkeit der Polizei, etwas gegen ihn zu unternehmen. Als das Fernsehen in den Abendnachrichten von dem gescheiterten Zugriffsversuch in der Nähe des Jardin du Luxembourg berichtete, verschärfte sich die Lage: Die Stadt oszillierte zwischen Panikmache, Polizeischelte und nackter Angst hin und her. Trotz des lauen Wetters verdienten die Kneipen und Bistros merklich weniger, weil so
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