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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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irgendwelche Stufen in die Wände gehauen sein konnten.
    Was für ein Wesen es war, hat er nie verraten. Es war wie manche der gemeißelten Figuren auf dem höllischen Altar, aber es lebte. Die Natur hatte es niemals in dieser Form erschaffen, denn es war zu offensichtlich unvollendet. Die Mängel waren von höchst überraschender Art, und die abnormen Proportionen entzogen sich jeder Beschreibung. Willett findet sich nur zu der Erklärung bereit, daß es sich bei diesem Ding um einen Vertreter jener Wesen gehandelt haben müsse, die Ward aus 'unvollkommenen Salzen erweckt habe und die er für Dienstleistungs- und rituelle Zwecke hielt. Hätte es nicht eine gewisse Bedeutung gehabt, sein Abbild wäre nicht in jenen fluchwürdigen Stein gemeißelt worden. Es war nicht das schlimmste der auf diesem Stein abgebildeten Wesen - aber die anderen Gruben hatte Willett nicht geöffnet. In jenem Augenblick kam ihm, als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, als erstes ein scheinbar bedeutungsloser Absatz aus irgendeiner der alten Schriften Curwens in den Sinn, die er vor langer Zeit gelesen hatte; ein Satz, der in jenem monströsen konfiszierten Brief von Simon oder Jedediah Orne an den verblichenen Hexenmeister gestanden hatte:
    »Fürwahr, es lag nichts als schieres Entsetzen in dem, was H. aus dem heraufbeschwor, wovon er nur einen Theil bekommen konnte.«Dann stellte sich, dieses geistige Bild eher auf schreckliche Art ergänzend als verdrängend, eine Erinnerung an jene hartnäckigen alten Gerüchte über den verbrannten und entstellten Leichnam ein, der eine Woche nach der Strafexpedition gegen Curwen auf dem Acker gefunden worden war. Charles Ward hatte dem Doktor einmal berichtet, was der alte Slocum von diesem Objekt gesagt hatte, nämlich daß es weder ganz menschlich gewesen sei noch irgendeinem Tier geglichen habe, das die Leute von Pawtu-xet jemals zu Gesicht bekommen oder in einem Buch gefunden hätten.
    Diese Worte gingen dem Doktor durch den Kopf, während er auf dem salpetrigen Boden hockte und den Oberkörper hin und her wiegte. Er versuchte, sie zu verscheuchen, und sprach ein Vaterunser; allmählich verlor er sich in einem Wirrwarr verschiedenster Erinnerungen ähnlich dem modernistischen Buch »Das wüste Land« von Herrn T. S. Eliot und kam schließlich auf die oft wiederholte Doppelformel zurück, die er vor einer Weile erst in Wards unterirdischer Bibliothek gefunden hatte:
    »Y'ai'ng'ngah, Yog-Sothoth« und so fort bis hin zu dem abschließenden, unterstrichenen »Zhro«. Das schien ihn zu beruhigen, und nach einer Weile erhob er sich taumelnd; er beklagte bitter den Verlust seiner Taschenlampe und hielt verzweifelt Ausschau nach einem Lichtschimmer in der beklemmenden Finsternis der eiskalten Gruft. Denken wollte er lieber nicht; aber er spähte angestrengt in alle Richtungen, ob sich nicht doch vielleicht ein schwacher Widerschein der hellen Beleuchtung entdecken ließe, die er in der Bibliothek zurückgelassen hatte. Nach einer Weile glaubte er, in unendlicher Ferne die Andeutung eines Lichtschimmers wahrzunehmen, und dorthin begann er inmitten des Gestanks und Geheuls auf Händen und Knien zu kriechen, mit angstvoller Vorsicht seinen Weg ertastend, um sich nicht an einer der zahlreichen großen Säulen zu stoßen oder in den entsetzlichen Schacht zu stürzen, den er aufgedeckt hatte.
    Einmal berührten seine zitternden Finger etwas, von dem er wußte, daß es die Stufen des höllischen Altars sein mußten, und vor dieser Stelle schauderte er mit Abscheu zurück. Ein andermal stieß er auf die durchlöcherte Steinplatte, die er abgehoben hatte, und hier wurde seine Vorsicht beinahe erbarmungswürdig. Aber die gefürchtete Öffnung selbst berührte er nicht, und es entstieg diesem Loch auch nichts, was ihn aufgehalten hätte. Was dort unten gewesen war, rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Offenbar war es ihm nicht bekommen, daß es seine Zähne in die herabfallende Taschenlampe geschlagen hatte. Jedesmal, wenn Willetts Hände eine der durchlöcherten Steinplatten fühlten, zitterte er. Manchmal verstärkte sich das Stöhnen darunter, wenn er darüberkroch, doch meistens blieb jede Reaktion aus, denn er bewegte sich fast lautlos. Während er so dahinkroch, wurde der Lichtschein vor ihm mehrmals merklich schwächer, und es wurde ihm klar, die die verschiedenen Kerzen und Lampen, die er zurückgelassen hatte, eine nach der anderen ausgehen mußten. Der Gedanke, daß er

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