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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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abkommandiert. Bei der erbitterten Schlacht um die Halbinsel Kertsch auf der Krim gerät Demjanjuk im Mai 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft, zusammen mit weit über 150.000 anderen Rotarmisten. Zuerst kommt er in ein Kriegsgefangenenlager in Rovno in der Ukraine, dann wird er in ein anderes Lager gebracht, in das «Stalag 319» nahe der Ortschaft Chelm im heutigen Polen.
    Chelm ist ein grauenhafter Ort. Es ist kein Lager, sondern eigentlich bloß ein eingezäunter Platz zum Sterben. Zehntausende Rotarmisten hat die Wehrmacht dort zusammengetrieben, ohne jede Infrastruktur. Wie in den meisten Kriegsgefangenenlagern im Osten gibt es kaum Baracken, viele Gefangene müssen im Freien auf der Erde schlafen, auch im Winter. Die hygienischen Verhältnisse sind erbärmlich. Und es gibt fast nichts zu essen. Ob die katastrophale Versorgung auf Desorganisationberuht, auf mangelnder Vorbereitung und der völligen Überforderung der deutschen Truppen oder ob es einen rassistischen «Hungerplan» gegeben hat, dessen Ziel die systematische Ermordung aller sowjetischen Kriegsgefangenen gewesen sei, das ist unter Historikern umstritten. Für die Gefangenen ist es ohne Belang. In ihrer Verzweiflung essen sie Gras und Laub, sogar Fälle von Kannibalismus soll es gegeben haben.
    Bald beginnt ein Massensterben, die Männer krepieren an Hunger, an Entkräftung, an Fleckfieber, Typhus und der Ruhr, viele erfrieren. Bis zum Frühjahr 1942 kommen etwa zwei jener drei Millionen Rotarmisten um, die in deutsche Gefangenschaft geraten sind, und auch danach geht das Sterben weiter: «Die Geschichte des Krieges kennt nur wenige Katastrophen, die von ihrem Ausmaß und ihrem Charakter damit zu vergleichen sind», hat der Historiker Christian Hartmann in einer großen Studie über den Ostkrieg der Wehrmacht notiert.
    Demjanjuk aber überlebt. Wie, das ist sein Geheimnis. Was genau er in Chelm getan hat, konnte bislang kein Gericht mit Sicherheit feststellen, in Israel nicht, in den Vereinigten Staaten nicht und auch nicht in Deutschland. Es ist das zentrale Rätsel, das Demjanjuks Schicksal geprägt hat. Mit der Gefangenschaft in Chelm beginnt jener Zeitraum, der ungeklärt ist in seiner Biographie. Der Zeitraum, um den alle Widersprüche, alle Verdächtigungen in seinem Leben kreisen werden – und alle juristischen Untersuchungen.
    Es gibt zwei Versionen davon, was in der Kriegsgefangenschaft passiert ist. Die eine, Demjanjuks Version, ist einfach. Er hat sie in all den Jahren vor Gericht wieder und wieder erzählt, mit manchen Abweichungen und Widersprüchen im Detail, aber halbwegs konsistent in der großen Linie. Demjanjuk behauptet, er sei von Herbst 1942 bis zum Spätsommer oder Herbst 1944 in Chelm gewesen. Vor dem Bezirksgericht in Jerusalem hat er Ende der achtziger Jahre ausgesagt, er habe anfangs Gräben ausheben und Baracken bauen müssen, später, vom Frühjahr 1943 bis zum Winter 1943/44, sei er in ein nahe gelegenes Moor geschickt worden, um Torf zu stechen. Dann, irgendwann im Herbst 1944, habe er eine alte italienische Uniform bekommen und habe zusammen mit mehreren hundert anderen ukrainischen Gefangenen einen Zug bestiegen, der sie in die Nähe von Graz in der Steiermarkbrachte, wo sie auf den Kampf gegen die Rote Armee vorbereitet werden sollten. Drei oder vier Wochen lang, so Demjanjuk, hätten die Männer aus Chelm auf den Einsatz gewartet. Während dieser Zeit sei ihm auch seine Blutgruppe eintätowiert worden, in der Armbeuge des linken Armes; genau dort, wo auch SS-Truppen ihr Blutgruppen-Zeichen tragen. Jahrelang hat Demjanjuk später versucht, die Tätowierung wieder loszuwerden, die Narben sind noch heute zu sehen. Schließlich jedoch habe man ihn zur «Wlassow-Armee» abkommandiert zu einem russischen Freiwilligenverband, der unter dem Kommando des Generals Andrei Andrejewitsch Wlassow auf Seiten Hitlers gegen die Sowjetunion kämpfte.
    Demjanjuk räumte vor dem Gericht in Jerusalem ein, er sei Teil dieser Truppe geworden – und damit Teil von Hitlers Kriegsmaschinerie. Aber er beharrte darauf, er sei dazu gezwungen worden. Und er habe lediglich als Wache für höhere Offiziere der Wlassow-Armee auf dem Truppenübungsplatz Heuberg auf der Schwäbischen Alb gedient. Kurz vor Ende des Krieges habe er sich gemeinsam mit Kameraden der heranrückenden US-Army ergeben und sei schließlich in ein Auffanglager für «Displaced Persons», für heimatlose Zivilisten, in Landshut gekommen.
    Das ist Demjanjuks Version. Es

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