Der Fall Lerouge
Commarin, aber schlieÃlich ist es auch ein Name. Gevrols Geschichte ändert allerdings Alberts Lage kaum. Daà er der legitime Sohn ist, beweist nicht seine Unschuld. Denn weder er noch sein Vater dürften von dieser überraschenden Tatsache etwas wissen. Nur Madame Gerdy muà gewuÃt haben, daà Noël nicht mit Albert vertauscht worden ist. Sie hatte ja das Erkennungszeichen. Als Noël ihr dann die Briefe des Grafen brachte, wird sie ihm erklärt haben ...
Mit einem Ruck blieb Vater Tabaret stehen, vor Entsetzen über den Gedanken, der ihm gekommen war. Nein, sagte er sich. Das kann nicht sein. Noël der Mörder der Madame Lerouge, weil er ihrem Geständnis zuvorkommen wollte, daà die Vertauschung niemals stattgefunden hat! Verbrannte er deshalb die Briefe und Papiere der alten Frau, die das bewiesen hätten?
Sofort wies er den Gedanken von sich.
Das habe ich nun von meiner Liebe zur Kriminalistik, schalt er sich. Ich verdächtige Noël, meinen besten Freund, die Liebe meines Alters, meinen Erben, diesen korrekten, ehrlichen Menschen. Ein Mann wie er müÃte von einer alles verzehrenden Leidenschaft befallen sein, um so etwas zu vollbringen. Aber er hatte nur zwei Leidenschaften: seine Mutter und seinen Beruf. Ich Hornochse! Kann ich es denn nicht lassen, Menschen zu verdächtigen. Ist mir nicht der Fall Albert de Commarin Lehre genug gewesen?
Doch er mochte sich mühen, wie er wollte, er wurde den schrecklichen Gedanken nicht mehr los. Immer wieder stieg quälend die Frage in ihm auf: »Könnte es Noël sein?«
Vor seinem Haus wartete ein elegantes blaues Coupé. Hallo, dachte Tabaret, da hat aber einer vornehmen Besuch bekommen!
Im selben Moment sah er Clergeot das Haus verlassen, und dessen Anwesenheit bedeutete sicher finanziellen Ruin, wie der Besuch des Beerdigungsunternehmers mit Sicherheit auf einen Todesfall schlieÃen läÃt. Tabaret, der schon seines kriminalistischen Steckenpferdes wegen den Wucherer gut kannte, rief ihm zu: »Na, Sie alter Halsabschneider? Was haben Sie denn in meinem Hause zu tun? Doch wohl nichts Geschäftliches?«
Clergeot liebte solcherart Vertraulichkeit gar nicht, antwortete kurz: »Wahrscheinlich« und wollte weitergehen.
Tabaret aber lieà sich nicht abschütteln und fragte: »Wer ist denn gerade dran, von Ihnen zugrunde gerichtet zu werden?«
»Ich richte niemanden zugrunde!« antwortete Clergeot eisig. »Konnten Sie sich jemals in geschäftlicher Hinsicht über mich beklagen? Ich an Ihrer Stelle würde den jungen Anwalt da oben, mit dem ich momentan zu tun habe, einmal fragen, ob er es bedauert, daà er meine Bekanntschaft gemacht hat.«
Vater Tabaret fiel aus allen Wolken. Sein korrekter, sparsamer Noël war ein Kunde dieses Wucherers? Vielleicht war er nur in einer momentanen Verlegenheit. Dann aber dachte Tabaret an die fünfzehntausend Francs vom Donnerstag.
»Ja, ich weiÃ, der Junge gibt eine Stange Geld aus.« Jetzt lag Tabaret daran, Clergeot aus der Reserve zu locken.
»Für sich selber tut erâs ja nicht. Das Geldausgeben besorgt die Kleine, die er sich da angelacht hat. Das ist ein Weib, sage ich Ihnen, die selbst den Teufel mit Haut und Haar fressen und verdauen könnte.«
So hatte also Noël eine Freundin? Dazu noch eine, von der sogar Clergeot mit Verachtung sprach. Und sie war verschwenderisch? Tabaret schwindelte es. Aber er lieà es sich vor Clergeot nicht anmerken, versuchte vielmehr, ihn noch weiter ins Gespräch zu ziehen.
»Das weià doch jeder«, sagte er so ungezwungen wie möglich. »Jugend kennt eben keine Tugend. Aber was mich interessiert: Was gibt denn der Lümmel so im Jahr für seine Mätresse aus?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich weià nur, daà er den Fehler gemacht hat, ihr kein Limit zu setzen. Nach meinem Ãberschlag muà sie ihn in den vier Jahren, seit er sie als Freundin hat, eine halbe Million Francs gekostet haben.«
Eine halbe Million!
Vater Tabarets Mund blieb offenstehen. Wenn das stimmte, dann war Noël ruiniert. Und dann ...
»Eine ganz anständige Summe«, brachte er mit Anstrengung über die Lippen. »Aber schlieÃlich hat er Vermögen, und er ist überall kreditwürdig.«
»Der?« Clergeot lachte kurz. »Da ist nicht mehr so viel.« Und er schnippte den Daumen gegen den Zeigefinger. »Der ist am Ende. Aber wenn er Ihnen
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