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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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verschiedene Persönlichkeiten sind wie Ahriman und Ormuzd? Bekennen Sie wenigstens Farbe und lassen Sie uns die Sache erledigen, wie es sich unter Männern ziemt, oder ziehen Sie die Hundspeitsche vor? Er erblaßt, fährt sich mit der Hand an den Hinterkopf, sieht mich mit einem mitleidigen Erstaunen an, das mich gänzlich irritiert. Unter Männern? Nein, sagt er, benehmen Sie sich erst wie ein Mann und nicht wie ein dummer Junge, bitte, bitte, wehrt er mit beiden Händen ab, als ich auf ihn losstürzen will, das sind Wirtshausallüren, wenn Sie aber nach dem Komment verfahren wollen, ist ja dieser Dialog überflüssig. Hören Sie mich in Ruhe an, nachher können Sie mir meinetwegen Ihre Zeugen schicken, ich stehe zur Verfügung. Und nun kam das Unfaßliche, Unbeschreibliche, eine oratorische Leistung, wie ich sie nie wieder erlebt habe, dagegen war sogar Ihr Plädoyer vor den Geschworenen ein hilfloses Stammeln. Daß ich mich erkühne, ihn zu beschuldigen; worauf ich die Beschuldigung stütze? Auf Annas Anklage? Nein; auf ihre Andeutung bloß? Andeutung in Worten? Nein? auf stummes Zugeständnis? Darauf allein? Das hielte ich für ausreichend, ihn, ihn, Gregor Waremme wie ein Hausknecht anzupöbeln? Es sei ihm fern, Anna herabzusetzen, ihr Wille zur Wahrheit sei so wenig zu bezweifeln wie ihre Lauterkeit, aber hätte ich denn keine Augen im Kopf, daß ich nicht sehen könne, wie es um sie stünde? Dann möge ich mich gefälligst informieren, jeder psychiatrische Dilettant könne mir Aufschluß über die einschlägigen Erscheinungen geben. Oder haben Sie, Herr Privatdozent, fragt er mit zurückgeworfenem Kopf, niemals von psychomotorischen Hemmungen gehört, Zuständen, die sich bis zu katatonischem Stupor steigern können und von denen wir wissen, daß eine heftige Gemütserschütterung einen monatelangen Widerstand jäh zu durchbrechen vermag, verhängnisvoll oft für die Umgebung –? Niemals von Erinnerungsfälschungen und Störungen der Phantasie, wo die völlige Gleichheit der Situation in aller Unschuld mit einer Person aus einem fremden Handlungskreis verquickt wird? Erkundigen Sie sich, nehmen Sie einen Kursus an unserer Klinik. Leider seien ihm, fährt er mit der schmerzlichsten Bewegung fort, diese Phänomene an Anna nichts Neues. Seit Jahren habe er seine Kräfte ihrer Bekämpfung gewidmet, mittels einer sorgsam erprobten seelischen Therapie sei es ihm gelungen, sie zu mildern, ja zuzeiten ganz auszuschalten, auf rohe Überrumpelung eines Dritten sei er nicht vorbereitet gewesen. Er habe mir doch so ernst, so heilig die zarteste Schonung nahegelegt, hätte er doch geschwiegen, hätte er sich doch lieber bis zur Sinnlosigkeit betrunken an jenem verfluchten Abend, wie hätte er sich auch denken können, daß ich, der Freund, der differenzierte Geist, der ahnende Mensch, mit Bauernfingern die zitternde Blüte zerdrücken würde. Das sublime Geschöpf, rief er unter Tränen, so adlig, so verletzlich, außen und innen von gleicher Schönheit, nur an der einen Stelle wund und leidend, kann man das nicht spüren, ist ein Maurizius nicht Künstler, nicht Dichter genug, um zu hören, was hinter den Worten, und zu sehen, was hinter dem Augenschein liegt? Um Gottes willen, Waremme, sag ich, verzeihen Sie, vergessen Sie, raten Sie mir. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was darauf erfolgte, ob er sich an diesem Tag schon mit mir aussöhnte oder erst am nächsten. Das jedenfalls war das Ergebnis. An dem Tag hatte er doch wenigstens noch alles aufgeboten, mich von seiner Schuldlosigkeit zu überzeugen, oder soll ich sagen, mich durch einen beispiellosen Temperaments- und Wortsturm zu der Überzeugung zu vergewaltigen, denn das war er seinem ganzen Wesen nach, Vergewaltiger. Sechs Wochen später, bei der zweiten großen Auseinandersetzung, wo er es gar nicht mehr für nötig erachtete, mir das schaurig erlogene oder, was schlimmer ist, halberlogene Bild einer Gemütskrankheit vorzuhalten, war ich vollends zu Wachs in seiner Hand geworden, wie ein Vampir hatte er Willen und Entschluß aus mir herausgesaugt, und ich nahm als Schicksal hin, was er mir zubereitet hatte. Aber so weit bin ich noch nicht. Das war also am Freitag, am zehnten Februar, glaub ich. Alle diese Daten sind in mein Hirn gerammt wie Meilensteine. Am Sonntag war Anna bei uns zu Tisch. Nach dem Essen hatte Elli einen Streit mit ihr, die Ursache weiß ich nicht mehr, nur daß Elli im Unrecht war, weiß ich, und daß Anna sich mit ungewöhnlich ruhigen

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