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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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in die große Kassa wirft. Den brennenden Sturmwind, den begann ich nunmehr zu spüren, zuerst wehte er die Anna zu mir her, dichter als je zuvor, jeder Blick, jede Silbe war ein »Erlöse-mich-von-dem-Übel«, sie hatte Momente der Bangigkeit, daß ihr zumut war, als müsse sie in meine Brusttasche schlüpfen, um sich in Schutz zu bringen, wie sie einmal sagte, aber sie ertrug mich bloß, wenn ich sanft und gelassen war, jede zudringende Gebärde erschreckte sie maßlos. Wenn ich von Flucht redete, hielt sie mir in einer sonderbaren Weise die geöffnete rechte Hand mit der Spitze nach oben senkrecht entgegen, als sei Ellis Bild daraufgemalt, Ehebruch, das war ihr die Sünde der Sünden, ja, ich blickte ziemlich tief in ihr Inneres in dieser Zeit von Ende März bis zum achtzehnten Mai, denn mit dem Tag wurde wieder alles anders. Ich vergaß zu erwähnen, wahrscheinlich weil es einen triftigen Grund gibt, es nicht aus der Vergessenheit hervorzuzerren, denn es war der Tiefpunkt meiner Schwäche, meiner ehrlosen Unterwerfung, vergaß zu sagen, daß mir Waremme inzwischen klipp und klar zu verstehen gegeben hatte, daß die ganze Geschichte mit dem obskuren Angelo in Köln eine Erfindung gewesen, zu der er in der Not gegriffen habe, um unsere Freundschaft nicht zu gefährden. Das Geständnis machte er mir auf einem Ausflug nach Bieberich, als wir uns in der Nacht im Wald verirrten und um den Mondaufgang zu erwarten uns auf einen gefällten Baumstamm setzten. Ich habe von meiner Schwäche und Feigheit ihm gegenüber gesprochen, aber in jener Nacht war er so aufrichtig und wahr, wie es seine dämonisch-hintergründige Natur überhaupt nur zuließ, er war ja ungemein eindrucksfähig, die Umgebung vermochte viel über ihn, eine Landschaft, die Finsternis in einem Wald, ich habe ihn einmal bei einem schweren Gewitter in einem Zustand gesehen, daß ich wirklich Erbarmen mit ihm hatte. Diese Gewitterfurcht, oder was es war, er erklärte sie mir dann sehr tief, hatte er übrigens auf Anna übertragen. Sie war wie ein flatternder Vogel, wenn ein Gewitter tobte. Während wir also auf dem Baumstamm kauerten und keiner des andern Gesicht sehen konnte, rückte er unvermittelt damit heraus, daß er keine andere Wahl gehabt, als mich mit der blümeranten Geschichte von dem sogenannten Angelo einzulullen, denn mich zum Feind und Hasser zu haben, hätte er nicht überwinden können. Jetzt, da ich durch so mannigfache Erfahrungen tiefer in sein Wesen gedrungen sei, habe er solchen Abfall nicht mehr zu gewärtigen, es sei mir so gut wie ihm bewußt, daß wir nicht bloß durch die wundersame Kreatur, die uns beiden das Höchste auf Erden sei, aneinandergekettet wären, sondern auch durch das machtvollste geistige Interesse, das zwei Männer in einem ernsten Augenblick der Geschichte zur Gemeinsamkeit aufriefe. Sachte, sachte, nicht so bombastisch, war mein Gedanke, dennoch lauschte ich atemlos, denn wer konnte dem Orpheuszauber seiner Rede widerstehen. Ehrlich gesagt, ich war auch schon grenzenlos müde von all dem Hin und Her und Auf und Ab, nichts überraschte mich mehr. So kam er auf seine Liebe zu Anna zu sprechen. Das riß mich doch aus der Apathie, er sagte Dinge, die mich schaudern machten. Ich kann die Worte nicht wiederholen, ich weiß sie nicht mehr, weiß nur, daß sie in mich hineinfielen wie ein Regen von glühenden Nägeln, weiß nicht mehr, was für Bilder und Gleichnisse er gebrauchte, weiß nur, daß ich mich währenddessen ein paarmal beklommen fragte: Kommst du denn daneben noch in Betracht? Er gab zu, daß er sie dort in der Theatergarderobe mit Gewalt genommen, aber hätt ich's nicht getan, sagte er, so hätte ich mich eine Stunde später erhängt. Ich glaubte es ihm. Obschon sie sich wie ein erzürnter Engel gegen mich wehrte, fügte er hinzu, die innerste Seele war schon mein, wie sie noch am heutigen Tag mein ist, und das wußte sie, das weiß sie. Er sei kein Räuber und karamasowscher Wollüstling, Blasphemie, von Verbrechen zu faseln, wo zwei Existenzen negiert würden, wenn ihre Zusammengehörigkeit negiert würde. Wir gingen dann, als der Mond endlich über den Wipfeln auftauchte, den ganzen Weg zur Bahnstation schweigend, nur einmal, nah am Ziel, blieb er stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: Sie tun mir leid, Maurizius, Sie sind gezeichnet, wenn Sie nicht von ihr lassen, ist es Ihr Untergang. Ich spüre noch, wie mir das Herz in die Kehle stieg, als ich ihm erwiderte: Das ist eitel

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