Der Fall Maurizius
und Geräderter war. Zwei oder drei wirkten immer zusammen, um den dritten oder vierten zu zermalmen. Eine nette Maschinerie. Anna zwischen mir und Waremme, Elli zwischen mir und Anna, Anna zwischen Elli und mir, ich zwischen Anna und Waremme, und Elli zwischen allen dreien. Das ging Tag für Tag, Woche um Woche bis ans entsetzliche Ende. Wenn Sie mir jetzt doch eine Zigarette geben wollten, wäre ich Ihnen dankbar.« Er rauchte eine Zeitlang schweigend. Bisweilen flackerte sein Blick unsicher empor. Er schien nachzudenken, ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, das, was er zu berichten sich anschickte, verständlich zu machen. Es stellte sich ihm wahrscheinlich noch jetzt als etwas hoffnungslos Verworrenes dar. »Ich kannte mich zunächst nicht mehr aus mit Anna«, fuhr er fort, »bis in den März hinein ließ sie sich nur zwei- oder dreimal bei uns sehen und wählte immer die Stunden, wo ich nicht daheim war. Von Elli hörte ich, daß sie sich in der allerbesten Stimmung befand, sich verschiedene neue Toiletten hatte machen lassen und Tees und Bälle besuchte, angeblich mit Freundinnen, in Wirklichkeit traf sie an all den Orten mit Waremme zusammen. Und je mehr sie mich und unser Haus mied, je eifriger warb Waremme um mich, als lege er auf meine Gesellschaft den allergrößten Wert. Ende März publizierte ich meine Arbeit über den Einfluß der Religion auf die bildende Kunst von den Nazarenern bis Uhde, er schrieb darüber eine Besprechung in der Frankfurter Zeitung und verglich mich mit Justi, sogar, ziemlich übertrieben, mit Rohde und Burckhardt. Das ehrte mich natürlich und schmeichelte mir, obschon ich mir bewußt war und es auch zugestand, daß sein Anteil an den Ideen, die ich entwickelt hatte, nicht gering war. Aber auf einmal wurde von einem Plagiat gemunkelt, das ich begangen haben sollte. Als ich dem Gerücht nachging, hieß es: Waremme selber erzählt es überall. Ich stellte ihn zur Rede, er lachte mich aus und sagte: Kindskopf, kümmern Sie sich doch nicht um solchen Unsinn, Plagiat, das gibt es doch unter Geistern von Rang nicht. Am selben Abend, als wir im Kasino vom Spieltisch aufstanden, zog er mich beiseite und sagte mit amüsiertem Gesicht: Wissen Sie auch, wer die närrische Plagiatgeschichte aufs Tapet gebracht hat? Sie werden's nicht erraten, Ihre Schwägerin Anna; sie hat in einer meiner frühesten Schriften ein paar Sätze gefunden, die genau mit Ihrem übrigens sublimen Urteil über Feuerbach übereinstimmen, ich habe schon damals die eklektische Zweitklassigkeit dieses Malers konstatiert. Mir war das recht sonderbar, am Tag darauf fragt ich Anna, ob es wahr sei. Sie wußte kein Sterbenswort davon. Sie interessierte sich gar nicht für die Geschichte, sondern teilte mir nur in ihrer gefrornen Manier mit, Waremme habe sich vor einer Woche mit der Lilli Quästor verlobt, und in der vergangenen Nacht habe sich das Mädchen vergiftet. Ich hatte drei Tage vorher von der Verlobung gehört, obwohl sie noch nicht öffentlich war, da mir aber Waremme nichts davon gesagt, hatte ich es nicht zu glauben gewagt. Du siehst ja aus, Anna, als hättest du die Schuld an ihrem Tod, sagte ich entsetzt. Sie schaut mich mit einem bohrenden Blick an und erwidert: So ist es auch, du hast das Richtige getroffen. Und ich darauf: Anna, bedenk, was du redest. Nun kam heraus, daß sie einen Brief an das Mädchen geschrieben hatte, worin sie ihre älteren unumstößlichen Anrechte kundgab. Ich sagte: Das hast du geträumt, Anna, und leugnete leidenschaftlich, daß sie zu etwas Derartigem fähig sei, da kam ferner heraus, daß Waremme sie zu dem Brief gezwungen hatte. Er hatte sich mit der Verlobung übereilt, das Mädchen hatte ihn gelangweilt, die Vorteile, die er sich erhofft, hatten sich bei näherem Zusehen als illusorisch herausgestellt, ob er sie verführt hatte oder nicht, blieb ewig dunkel, kurz, er wollte sich aus der Affäre ziehen, dazu war ihm Anna gerade gut genug. Vielleicht war es auch ein Mittel, um auf sie zu wirken. Er kannte die Figuren, die er in seinem Schachspiel benutzte, aber diese Lilli Quästor war eine, die nicht mit sich spaßen ließ. Berechnung, Zwang, das sind bei einem solchen Menschen Begriffe wie leere Schalen. Dann war auch Berechnung, was später geschah, bis zum Mord, und war's doch wieder nicht, weil ein brennender Sturmwind drin war, ein vernichtendes Element, das kann der Mensch nicht berechnen, sogar der Teufel irrt sich da mit seiner Arithmetik, weil er ja auch seinen Anteil
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