Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
Zurückhaltung, schon um ihretwillen müßten wir uns als Verbündete betrachten, zu ihrem Schutz Verbündete. Ich reichte ihm die Hand, ich war nicht fähig zu sprechen, ich entsinne mich nicht mehr, wie ich auf die Straße und nach Hause kam, mein Hirn war wie ausgebrannt . . .«
    5

    Maurizius ging zweimal mit seinen schleichenden Schritten längsseits durch die Zelle, bevor er sich wieder hinsetzte und fortfuhr: »Wenn ich mich heute frage, nach mehr als zwanzig Jahren, wo ich doch Zeit hatte, hinlänglich Zeit, alles nach allen Seiten zu überlegen, alle Schächte und Verästelungen zu durchforschen, wenn ich mich nach dem eigentlichen, dem tiefsten Beweggrund frage, der Waremme bei seinen Eröffnungen geleitet, so weiß ich keine befriedigende Antwort darauf. Möglich, daß er mich vorbereiten, einer Andeutung oder einem Gerücht von irgendwoher zuvorkommen wollte. Aber hatte er denn das zu fürchten? Von Anna hatte er nichts zu fürchten, und von dem mysteriösen Angelo, nun, ich glaube, es ist überflüssig zu sagen, daß der ein Popanz war. Sonstige Eingeweihte gab es nicht. Kein Mensch auf der Welt hatte eine Ahnung, hatte auch nur einen Verdacht in der Richtung. Und wozu mich vorbereiten? Was hatte er von mir zu fürchten? Ich war schon durch die Rücksicht auf Ruf und Person meiner Schwägerin wehrlos gemacht. Ich hätte ihn vielleicht im Zorn töten können, aber davor schützte ihn wieder die schlaue Berechnung nicht. Er mußte sich ja ziemlich sicher fühlen, sonst hätte er kein so verwegenes Spiel mit mir gewagt. Das alles war es nicht, eher wollte er mich vielleicht abschrecken. Er hatte längst bemerkt, daß mein Verhältnis zu Anna immer herzlicher und vertraulicher wurde, da wollte er einen Riegel vorschieben und mir zu verstehen geben: an die rühr nicht hin, die kannst du nicht erbeuten, da sind Hindernisse, deren nicht einmal ich Herr werde, um wieviel weniger du, und du siehst selbst, daß ich mich auf hilfreiche Freundschaft beschränke, für anderes ist da kein Raum, anderes zu hoffen verbietet sich für jeden, der nicht ein gewissenloser Schuft ist. Es hätte zu seinem Charakter gestimmt, in einem Nebenbuhler, den er im Grund nicht einmal ernst nahm, auf Umwegen den Elan zu brechen. Ich sage das aus meiner nachherigen Erkenntnis, damals war ich ja verblendet, obwohl mir Argwohn über Argwohn aufstieg. Ich mußte beständig an seine unheimliche Suada denken, mir war, als habe er sich mir nur in einer großartigen Pose zeigen wollen, und sooft ich mir seine Erschütterung, seinen Schmerzensausbruch ins Gedächtnis rief, spürte ich darin dieselbe Meisterschaft wie beim Vortrag der Shakespeare-Szene. Beides stammte wohl aus der gleichen Quelle, es war müßig, eine Absicht, einen Plan, einen Zweck dahinter zu suchen. Es war vielleicht der unbändige Trieb nach Selbststeigerung und Selbstgenuß, ein gewisses Lebenspathos war ihm zweite Natur, unter Umständen stürzte er sich auch in Gefahr dafür. Vielleicht war sogar das Ganze ein Phantasieerzeugnis, eine Mystifikation, eine Waremmesche Dichtung, auch das war möglich. Mit dieser Vermutung hatte ich freilich unrecht. Bis dahin hatte ich geglaubt, daß er mich liebte, jedenfalls mich vielen andern vorzog, ich hatte genügend Ursache, es zu glauben, jetzt auf einmal schien es mir, daß er mich haßte, und zwar mit einem unergründlichen, heimlichen Haß, der ihn zu allem fähig machte, weil er zu allem fähig war, im Bösen wie im Guten, die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen: auch im Guten, ja, auch im Guten, aber warum, der Haß? warum? Ich weiß es bis heute nicht, denn aus der Eifersucht allein kann ich ihn mir nicht erklären, dazu war er ein zu despotischer Mensch, viel zu sehr von seiner Größe und Überlegenheit durchdrungen. Ich fand also nirgends Anhalt, nirgends Boden, ich trieb mich tagelang sinnlos herum, am liebsten hätte ich mich versteckt, ich hatte Angst vor dem Wiedersehen mit Anna, als müßt ich verhindern, daß sie ein gewisses Bild in meinen Augen erblickte, das mich verrückt machte. Ich benahm mich wie einer, dem ein Lionardo oder ein Rubens, das Kostbarste, was er besitzt, von Bubenhänden besudelt worden ist, als wär ich Eigentümer von ihr gewesen, als hätt ich das verbriefte Recht auf ihre Unberührtheit gehabt, als hätt ihr das nicht zustoßen dürfen, weil ich auf der Welt war. Ich war zerrissen, einfach entzweigerissen; vor der Arbeit graute mir, ich fand an keinem Ort Ruhe, ich konnte mit keinem

Weitere Kostenlose Bücher