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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Antwort. Er stand schwerfällig auf, trabte mit schweren Stiefeln um den Tisch herum, fuhr mit den Fingern in den roten Schopf, murkste und räusperte sich, bevor er sich vernehmen ließ: »Das hat einen Herzbezug und einen Gehirnbezug. Zwei ungleiche Gäule. Ich kann nicht wissen, welcher besser läuft. Du bist gewissermaßen in Seide geboren. Seide zerreißt sich schwerer als Sackleinwand. Bist ein verdammt feiner Kerl, schleppst aber doch zu viel Vorurteile oder Traditionen, oder wie du das Zeug nennen willst, mit dir herum . . .«
    Etzel hörte gar nicht mehr zu. Er lächelte still. Es war ein kluges, nachsichtiges, enttäuschtes Lächeln. Beim »Aber« hatte er angefangen zu lächeln. Sobald einer aber sagt, kann ich ihn nicht brauchen, dachte er, setzte sich wieder hin, nahm ein Blatt Papier und einen Bleistift und zeichnete ein Pferd mit einem Hirschgeweih, das mit den Vorderbeinen aufgeregt in der Luft zappelte. Thielemann hatte ein Gefühl wie in der griechischen Stunde, wenn er die Examensarbeit mit einem Ungenügend zurückbekam. Seine Stirn bedeckte sich mit Röte. »Ich will dir mal was sagen«, begann er geheimnisvoll und beugte sich zu Etzel hinab, »sie sperren uns in den Brotkorb, das ist der Trick. Sie haben keinen Dunst, wie es in uns aussieht. Es ist ein Kannä, und sie halten noch bei Benevent. Sie wissen nicht, was ihnen bevorsteht. Alles verstunken und versaut. Aber sie haben den Brotkorb in der Gewalt, und damit beherrschen sie die Lage. Ich möchte einen Riß durch das Ganze machen, weißt du, so!« Er ergriff das Blatt, auf dem Etzel noch lächelnd kritzelte, und riß es zornig mitten entzwei.
    In diesem Augenblick klang das Kreischen einer Frauenstimme herein und gleichzeitig die wütend-polternde eines Mannes. Es dauerte kaum drei Sekunden, dann wurde eine Tür zugeschmettert. Eine Atempause lang war es still, dann wurde die Tür zweifellos wieder geöffnet, denn die Stimme der Frau schrie noch lauter als vorher, halb jammernd, halb keifend und sich in der Höhe förmlich überschlagend. Der Mann antwortete, aus etwas größerer Entfernung als das erste Mal, mit greulichen Schimpfworten und Drohungen. Etzel sprang auf. Er dachte, es sei ein Unglück geschehen. Er wollte zur Tür hin, jedoch Robert packte ihn an der Schulter, hielt ihn fest und raunte ihm mit verzerrter Miene, seine Hauerzähne bleckend, heiser zu: »Rühr dich nicht, oder du kriegst es mit mir zu tun.« Da war es also, was er bis zum Zittern gefürchtet, was er hatte verdecken wollen wie einen ekelhaften Ausschlag auf der Stirn, was ihm Pranger war und seine Jugend finster machte wie einen Keller. Er und Etzel standen zwei Schritte von der Tür entfernt, er hielt Etzel noch immer an der Schulter, sein Gesicht war so fahl, daß die Sommersprossen darauf fast schwarz aussahen, wie Schmutzspritzer auf einem Stück Pergament. Etzel hatte die Augen niedergeschlagen, und während er auf das widrige Gezänk lauschte, begriff er die Not seines Freundes. Er wagte Robert nicht anzuschauen; da hörte der Lärm so jäh auf, als wären die zwei Stimmen von einem Sandhaufen erstickt worden; eine Viertelminute war es ruhig, dann fing unerwartet jemand an, auf einem greulich verstimmten Klavier einen Walzer zu spielen. Daran war nichts Besonderes, es war einer von Roberts Brüdern, der sich in der Wohnstube musikalisch erging; jedoch die Aufeinanderfolge, erst das wüste Spelunkengebrüll und unmittelbar darauf die läppische Walzermelodie, bewies eine so rohe Unempfindlichkeit des Spielers, daß Etzel in das Leben der Familie wie in ein aufgeschlagenes Buch sah. Er reichte Robert zaghaft die Hand und flüsterte: »Ich geh jetzt, Thielemann, hab mich sowieso verspätet, leb wohl.« Damit war er schon draußen, schlich scheu durch den Korridor und sprang die Stiege hinunter. Gemein von mir, so fortzurennen, überlegte er, während er auf der Feyerleinstraße im Regen marschierte und mit verzogenem Mund in den Himmel schaute; aber wär' ich länger geblieben, hätt' es ihn auch nicht gefreut.
    Er ging langsamer, in Gedanken versunken. Nach einer Weile blieb er mit einem Ruck stehen. Er preßte beide Hände an seine Brust, das Herz begann heftig zu schlagen, und er sagte laut: »Es nützt nichts, ich krieg nicht eher Ruhe, als bis ich bei dem Alten draußen in Hanau gewesen bin.«
    5

    Er wollte schon am Donnerstag hinausfahren, verschob es aber auf den Freitag, weil an diesem Tag sein Vater an einem Herrenabend teilnehmen mußte. Er sagte

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