Der Fall Maurizius
Elli? Es war ein so reizender Abend, man hat sogar getanzt, und das schönste Paar sind Dr. Maurizius und Anna gewesen, unstreitig. Elli stottert hilflos in den Apparat, sie spürt, wie ihr das Blut im Herzen bitter wird. So nichtig ist sie ihm schon, daß er sie nicht einmal einer gut erfundenen, einer dauerhafteren Lüge für wert hält? Sie mag ihn nicht zur Rede stellen, es ist schon zu weit gediehen, so weit wie ein Brand, der des Wasserstrahls spottet; mit Stricken gefesselt sieht sie zu, wie er vor ihren angstvoll aufgerissenen Augen sinkt und sinkt, noch kann sie nicht glauben, daß alles vorbei sein soll, noch hofft sie und wartet und denkt, es ist eine flüchtige Trübung nur, er kann unmöglich vergessen haben, was er ihr zugelobt und worauf sie ihr Leben gebaut hat. Doch während sie sich noch solcher Täuschung hingibt, sammeln sich bereits die dämonischen Kräfte in ihr, mit denen sie um ihn und seinen Besitz kämpft und ihn und sich vernichtet.
7
Eines Nachmittags um die Dämmerzeit öffnet sie, von einem Gang in die Stadt zurückkehrend, die Tür zum Wohnzimmer; da fahren Leonhart und Anna erschrocken auseinander, fassungslos starren sie die auf der Schwelle Stehende an; Anna macht ein paar Schritte zum Fenster und ordnet das verwirrt in Stirn und Wangen hängende Haar, verbirgt ihr über und über flammendes Gesicht; Leonhart verbleibt wie angewurzelt beim Sofa und wendet sich mit einer flehentlichen Gebärde zu Elli. Es fällt kein Laut. Als Anna sich einigermaßen gesammelt hat, packt sie ihren Mantel und Hut, die auf einem Sessel liegen, geht mit stürmischen Schritten zur Tür und heftet, während sie an ihm vorübereilt, auf Leonhart einen Blick von so glühender Verachtung, daß dieser, fahl wie ein Handtuch, dieselbe flehende Gebärde wie vorhin an seine Frau nun an Anna richtet. Aber ihre Augen blitzen ihn nur unsäglich stolz an, als sei es schmählich für sie, im gleichen Raum mit ihm zu sein, den sie auch darum so schnell wie möglich verläßt. Laß mich durch! ruft sie der Schwester gebieterisch zu, Elli weicht schweigend zur Seite, und sie verschwindet. Ihre leichten, hastigen Schritte sind noch nicht verklungen, da tritt Leonhart vor seine Frau hin und sagt beschwörend: Beim ewigen Gott, Elli, sie hat keine Schuld. Da Elli immer noch schweigt – vor ihr dreht sich ja das ganze Zimmer mit den Möbeln im Kreis –, wiederholt er, sinkt dabei auf die Knie und umfaßt ihre Schenkel: Glaub mir, Elli, ihr kannst du nichts vorwerfen, sie ist rein wie der Tag. Sein Betragen ist theatralisch, Elli fühlt es; dennoch, in seiner Stimme, in seiner Miene ist Aufrichtigkeit und Wahrheit. Was könnte Elli tiefer verstören als eben dies?
Über den Zwischenfall gab es zwei Aussagen, die im wesentlichen übereinstimmten, die eine von Leonhart selbst, die andere von dem Dienstmädchen Frieda, die ihn belauscht hatte. Er verlieh der Situation der drei Menschen anscheinend das gültige Gepräge. Ungefähr so: Leonhart, der sinnlich betäubte Schwächling, fasziniert von der schönen Schwägerin und nur darauf bedacht, sie zu Fall zu bringen; diese, in einer mittelbaren Abhängigkeit, unsicher über ihre Zukunft, erwehrt sich der leidenschaftlichen Nachstellungen, so gut sie kann, trachtet auch, ihn mit allen Mitteln zur Vernunft zu bringen, unterliegt aber dabei, da sie doch ein neunzehnjähriges, unerfahrenes Mädchen ist, jeweils dem Zauber, der von dem Mann unleugbar ausgeht, so daß sie trotz ihrer Zurückhaltung der Schwester in zweideutigem Licht erscheinen muß. Sie will Elli nicht hintergehen; auch wenn sie Leonhart liebte, könnte sie der Schwester nicht den Gatten abspenstig machen; sogar wenn er sich von Elli scheiden ließe, könnte sie den Gedanken nicht ertragen, das Leben der Schwester zerstört zu haben. Und ist es denn seine Absicht, Elli zu verlassen? Ganz und gar nicht. Erstens besteht eine ähnliche, nur viel stärkere Abhängigkeit wie für Anna auch für ihn; er ist ein den kleinen, luxuriösen Behaglichkeiten des Daseins zu verhafteter Mensch, als daß er sich entschließen könnte, wieder in die unsichere Enge seiner Junggesellenwirtschaft zurückzukehren, angewiesen auf die Launen eines despotischen Vaters. Sodann riskiert er seine Stellung in der Gesellschaft, auf die er den größten Wert legt, seine wissenschaftliche Karriere; man verzeiht in den Kreisen, in die er sich so schmiegsam eingelebt hat, jede heimliche Vergehung, nie aber den offenen Skandal. Er sieht sich
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