Der Fall Maurizius
Flut unterbrochen worden ist, errichtet er im Geist ein römisch-deutsches Imperium, das von Sizilien bis Livland und von Rotterdam bis an den Bosporus reicht. Alles muß dieser Konstruktion dienen, Kunst und Dichtung, Gotik und Barock, Renaissance und Antike, Christus und die Kirchenväter. Entweder ist es wirklich die Idee, die ihn zum Fanatiker macht (falls er einer ist), oder Fanatismus (falls er ihn hat) ist ein Bestandteil seines Wesens und treibt die Idee aus sich heraus, weil die Zeit dafür reif ist. An Anhängern fehlt es nicht; Bewunderer, können sie auch seiner hungrigen Eitelkeit nie genügen, umschwärmen ihn gelehrig, und die Vermutung einiger kühler Beobachter mag nicht aus der Luft gegriffen sein, daß ihm mächtigere Leute den Rücken decken als eroberungslustige Professoren, verabschiedete Generale und eine Schar entflammbarer Studenten, Leute, die sehr genau wußten, was sie wollten und denen die ganze Kaiserherrlichkeit des Mittelalters gestohlen werden konnte, sofern sie nicht mit solch berauschendem Traum auch ihr Geschäft machen konnten. Dazu war ein Geisteskoloß wie dieser Waremme fraglos von hohem Nutzen, ob er nun selbst bis zum Grunde seines Herzens überzeugt war oder nicht; deshalb auch urteilte man nachsichtig über seine Frauengeschichten, seine ewigen Geldkalamitäten, seine persönliche Unverläßlichkeit und die Dunkelheit seiner Herkunft, über die er sich, vergeßlich wie einer, der schlecht lügt, weil er zuviel lügt, in ständig veränderten Erzählungen erging.
Es stellt sich heraus, daß er ein Freund Anna Jahns ist, oder doch ein guter Bekannter von ihr. Er hat sie im vorigen Jahr in Köln kennengelernt und ihr beim Karneval für eine Liebhaberaufführung die Rolle eines Pierrot so vollendet einstudiert, daß sie ungeteilten Beifall damit erntete. So sagt man; was an der Sache wahr ist, läßt sich schwer erforschen; Anna selbst hat nie darüber gesprochen, Anna spricht überhaupt nicht von ihren Erlebnissen. Auffallend ist nur, daß sie seitdem nicht mehr ins Theater geht und alles, was mit dem Theater zusammenhängt, geradezu verabscheut. Auch über die Person Waremmes schweigt sie sich aus, wenigstens gegen Elli erwähnt sie seiner nie, die Bekanntschaft mit Leonhart hat keineswegs sie vermittelt. Es scheint, der Antrieb ist von Waremme ausgegangen, wie wenn er in diesem jungen Menschen die für ihn geeignete Beute von weit her gewittert hätte. Bald sind die beiden unzertrennlich, schon am Vormittag geht Leonhart in Waremmes Wohnung, nachmittags reitet er mit ihm aus, nicht selten ist Anna mit von der Partie, das Trio erregt natürlich sattsam Aufsehen in den Straßen, schließlich führt ihn Leonhart in sein Haus ein. Ein Rest von Instinkt hat ihn lange zögern lassen, es zu tun; das erste Zusammensein mit Elli verläuft auch peinlich genug. Ihre Abneigung gegen den Mann ist elementar, ihr wird unwohl, wenn sie sein fahles Gesicht mit dem Unterkiefer eines Negerboxers nur sieht, die wasserblassen Augen mit dem schamlos glitzernden Blick, den fetten Hals, die fetten Hände mit den vielen Ringen: alles, alles ist ihr unbeschreiblich verhaßt, die spöttisch akzentuierte Höflichkeit, die sofort einen ausdrücklichen Unterschied macht zwischen einer Frau und einem Mann, wie die souveräne Leichtigkeit seiner Konversation. Es ist wahr, im Vergleich mit ihm ist Leonhart, was ein Lakai im Vorzimmer eines Fürsten ist; aber das ist nicht Ursache für sie, ihn erniedrigt zu sehen, Rangordnung machen nicht die Menschen, die ist von Gott, so oder so; nur was er an sich selber tut, darf sie bekümmern. Sie fleht ihn an, von dem Menschen zu lassen. Er gebärdet sich, als habe sie was Ehrenrühriges von ihm verlangt. Du scheinst keine Ahnung zu haben, wer Gregor Waremme ist. O doch, sie hat die Ahnung, wie der Mann auf sie zuschritt, hat sie das herzlähmende Gefühl von unabwendbarem Schicksal gehabt; das aber hütet sie sich zu sagen. Und überdies, fährt er fort, ist er der einzige Mensch, der sich Annas wirklich annimmt. Was soll sie darauf erwidern? Sie steht da, und ihr schwindelt. Für denselben Abend war verabredet, daß er mit ihr zu einem Tee bei Geheimrat Eichhorn geht; er hat versprochen, sie abzuholen. Er kommt nicht, es wird neun, zehn, elf, sie hört auf zu warten. Am andern Morgen redet er sich aus, er sei nicht dort gewesen, Waremme habe eine eben vollendete Abhandlung vorgelesen. Zwei Stunden später ruft die Geheimrätin an. Weshalb sind Sie nicht gekommen,
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