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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Verzicht bedeutet, so hat er doch dafür anderes gewonnen, Edleres vielleicht, Haltbareres jedenfalls. Anna stutzt. Sie kann sich eines ironischen Lächelns nicht erwehren. Die Liebe nicht kennengelernt (die »große« Liebe, als ob's eine große und eine kleine gäbe!), was heißt das? Abgesehen davon, daß es eine Primanerfloskel ist, sieht es wie ein Köder aus, obschon kein sehr schlauer. So fängt man begehrliche Närrinnen, deren Begierde nur Naschhaftigkeit ist und denen man Resignation als Lockspeise hinwirft. Immerhin, die schmerzlich klingende Scheinwahrheit einer Beichte, deren Kern eine schmackhafte Lüge bildet, ist ein Rezept, das selten ohne Wirkung bleibt.
    Aber Anna geht nicht so leicht ins Garn. Sie sieht den Schwager wohl mit etwas andern Augen an, doch sie traut ihm nicht sehr. Er ist so beredt, er argumentiert so geschickt, und er ruht nicht, sie von einem Vorurteil abzubringen, von dem sie nicht mehr bekehrt zu werden braucht: sie glaubt ihm, daß er Elli nicht aus habsüchtigen Motiven geheiratet hat, so dumm ist sie nicht, daß sie ein oberflächliches Urteil nicht aufgibt, wenn sie eines Besseren belehrt wird. Wozu also die beständigen Besprechungen, das Bestreben, ihrer habhaft zu werden, die vielen Fragen, das viele Zurredestellen? Sie hat schließlich seinen Wunsch erfüllt, ist mit einer Pflegerin in die Schweiz gereist, hat das Kind geholt und hat es zu ihrer Freundin Pauline Caspot gebracht. Diese Mrs. Caspot ist eine Arzttochter aus Düsseldorf, sie hat einen kleinen englischen Kaufmann geheiratet, der kurz nach der Hochzeit starb und sie fast mittellos zurückließ, worauf sie in Hertfort, ein paar Meilen nördlich von London, ein Heim für stellenlose Gouvernanten einrichtete und ein ganz anständiges Auskommen dabei fand. Anna korrespondierte regelmäßig mit ihr wegen des Kindes, gab genaue Anweisungen über die Erziehung (die alleinstehende Frau hatte sich des verlassenen Wesens mit Eifer angenommen) und schickte in Leonharts Auftrag jeden Monat das Geld für die Verpflegung, das er ihr für den Zweck übergab. Das alles erfordert natürlich bestimmte Abmachungen und Vereinbarungen, besonders da Ellis brüsk ablehnende Haltung es Anna gewissermaßen zur Pflicht macht, dem in praktischen Dingen so ungeschickten Mann beizustehen. Aber er wird nicht müde, davon zu reden, jede Woche muß sie einmal mit ihm in die Stadt, um ein Geschenk, ein Kleidchen, ein Spielzeug für das Kind zu kaufen, er bittet sie, ihm Photographien zu verschaffen, er will einen englischen Maler bestimmen, Hildegards Porträt zu malen, er beschwört Anna, dem Kind niemals ihre Teilnahme zu entziehen, er sagt: Du bist doch nun seine wahre Mutter, und ähnliches. Schwer, ihm etwas zu verweigern, seine Liebenswürdigkeit ist ungemein bestrickend, sie kommen einander näher, der Verkehr wird ungezwungener, es ergibt sich von selbst. Elli benimmt sich wie jemand, der mit zugeschnürter Kehle ein freundliches Gesicht machen will. Wo geht ihr hin? fragt sie, wo kommt ihr her? und lächelt. Anna fühlt sich ausspioniert. Trotz erwacht in ihr, eine spöttische Bemerkung, eine gelangweilte Miene genügt, und Leonhart wendet sich gereizt gegen seine Frau. Etwa: Sind wir in einem Kindergarten? Ist es verboten, miteinander zu plaudern? Elli lächelt. Abbittend. Sie findet nicht die rechten Worte mehr. Ihr ist, als ob zwischen ihr und Leonhart ein Schleier aufgespannt wäre, sie können nicht mehr harmlos zusammen sein, jedes Gespräch hat eine verborgene Härte, eine verdeckte Falle, die Einsamkeit, Zweisamkeit, in die sie sich zurückgezogen haben, wird unerträglich; widerspricht Elli einer Ansicht, die er äußert, so verstummt er sofort, hüllt sich stundenlang in Schweigen; wenn sie dann sein Gesicht anschaut, weiß sie, was er sinnt, und hat Angst, hat Angst. Eines Tages bittet er sie um Geldzuschuß. Er ist in Schwierigkeiten, Annas Reisen, die Unterbringung des Kindes haben beträchtliche Summen verschlungen, er kann sich nicht rühren, er braucht sechshundert Mark. Sie schreibt einen Scheck auf ihre Bank, er sieht ihn an, der Scheck lautet auf vierhundert. Ich habe dich um sechshundert ersucht, bemerkt er kalt. Sie erwidert, es seien nicht mehr Zinsen fällig. Er zuckt geringschätzig die Achseln. Zinsen? Willst du mich auf Zinsen legen? Behandelst du mich wie einen Studenten, der seinen Monatswechsel überschritten hat? Ich weiß, was ich tue, entgegnet sie mit abgewendetem Blick, und ihre Finger flechten sich

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