Der Fall Maurizius
also gezwungen, zu lavieren, denn auf das eine oder das andere zu verzichten, dazu ist er der Mann nicht. Zum Verzicht gehört klare Erkenntnis; solche Halbcharaktere machen sich aber selten ihre Lage und ihre verborgenen Regungen völlig klar, sie schwimmen lieber im Ungefähr. Und hier beginnen die Rätsel in dem sonst so uninteressanten Dreieck.
Trotz der unhemmbar wachsenden Leidenschaft für Anna, einem Gefühl, neben dem nichts anderes mehr Raum hat in seinem Innern und das schließlich niemand mehr verborgen blieb, lebt er mit Elli als mit seiner Ehegattin weiter. Es mag von ihm aus begriffen werden. Er sucht vielleicht in ihren Armen Vergessenheit, aber von ihr ist schwer zu glauben, daß sie ihm die geben kann, da sie doch in ihrer Qual nicht ein noch aus weiß. Vielleicht will er sie über seinen Zustand täuschen, wobei man freilich voraussetzen müßte, daß eine Frau wie Elli in dieser Hinsicht getäuscht werden kann. Vielleicht versagt sie sich ihm nur nicht; vielleicht hofft sie noch, vielleicht glaubt sie an eine Magie ihres Blutes, die ihn ihr zurückgewinnen kann, vielleicht ist etwas dem Ähnliches wirklich vorhanden, und nicht bloß das Erbarmen des Weibes, das sie in einen Abgrund reißt, der wie eine mit Feuer gefüllte Gletscherspalte ist, nicht bloß das Mitleid der mütterlichen Geliebten, die ihr Letztes hergibt, weil das Letzte eben gefordert wird. Daß er es fordert, daß er es nimmt, während er nur das vergötterte Bild der jungen Schwester vor Augen hat, und so sichtbar und spürbar, daß für Elli ein Grauen ist, was für ihn ein Glückstraum, das macht sein Bild fast abstoßend. Der Wollüstling geht die dunkelsten Wege in der Welt.
Jedoch es hat außerdem den Anschein, als könne er nicht von ihr los. Sie hat irgendeine unbegreifliche Macht über ihn, die ihn hält. Er könnte es wahrscheinlich selbst nicht erklären. Möglich, daß es etwas ist, wovor er sich zu schämen hat. Manchmal durchschaut eine Frau, und sie braucht dazu nicht einmal bedeutend zu sein, den Mann in einer Weise, die ihn mehr an sie kettet als Sinnlichkeit oder Interessen. Es gibt Männer, denen es den Lebensnerv lähmt, wenn man ihre Gedanken errät, bevor sie sie in Tat umgesetzt haben, weil sie so organisiert sind, daß sie nur durch die Verschleierung ihres inneren Wesens eine äußere Wahrheit erlangen. Wenn nun derselben Frau neben dieser intellektuellen Gabe noch eine gewisse Blutgewalt eigen ist, so ist sie für ihn doppelt zu fürchten, dreifach, zehnfach, je nach der Größe der Gewalt. Das schafft die tiefsten Abhängigkeiten, die wir kennen. Er hat sich ihr überliefert durch das Vertrauensgelübde. Er ist, wie viele schwache Naturen, krankhaft empfindlich im Punkt der Ehre, das heißt in der Weise empfindlich, daß er ihre Integrität unter Umständen auch durch den fadenscheinigsten Selbstbetrug aufrechterhält. Sich vergangen zu haben, wird er hartnäckig bis aufs äußerste in Abrede stellen, auch wo der Beweis gegen ihn erdrückend ist. Er will in ihren Augen nicht fallen, das ist es. Ihre Bewunderung, ihr zartsinniges Verständnis hat ihn allmählich in eine Atmosphäre des Mitsichselbst-Einverstandenseins gehoben, die ihm zum Leben nötig ist, und so hat er noch immer die Gebärde, den Blick, ja das Wort des früheren Vertrauens, als er längst nicht mehr wagt, ihr Geständnisse zu machen. Es ist, wie wenn ein Maschinenrad ohne Transmissionsriemen läuft. Er fürchtet sich. Er läßt es lieber darauf ankommen, daß sie es auf Umwegen, nach und nach und ohne sein Zutun erfährt. Dadurch gewinnt er Zeit. Man weiß nie, was zwischen heut und morgen passieren kann. Er fürchtet sich vor der Veränderung ihres Gefühls, vor ihrem Wissen, vor der unvermeidlichen Entscheidung, und vor allem fürchtet er sich vor dem, was er ihre Eifersucht nennt. Bei der Vorstellung eines Ausbruchs möchte er sich am liebsten aus dem Staub machen, die Leidenschaftlichkeit in ihr bedroht seine Fundamente und hat für seine sensiblen Nerven etwas Barbarisches.
Eifersucht – ein Begriff, der hier wenig besagt. Es handelt sich um eine hoffnungslose Krankheit, einen Krebs der Seele, gegen den es kein Heilmittel gibt, keinen Arzt, keine Linderung, nicht einmal Pausen der Erschöpfung. Sie nimmt alle Gerüchte gierig auf, es ist kein Mangel an Zuträgern. Da und da ist Anna mit ihm gesehen worden. Am Sonntag sind sie zwei Stunden im Kunstverein gewesen. Vorgestern abend hat er sie von der Pension abgeholt, und sie haben
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