Der Fall Sneijder
verfluchten Siamesen.«
»Monsieur Sneijder, bitte bewahren Sie Ruhe«, sagte der Psychiater. »Ich bin nur hier, um Ihnen zu helfen. So wie wir alle. Den Vorschlag Ihrer Kinder dürfen Sie nicht als Zwang verstehen. Es geht um eine einfache Begutachtung, eine Routineuntersuchung. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Nach einem Unfall wie Ihrem hätten Sie sich im Übrigen regelmäßigen Kontrolluntersuchungen unterziehen müssen.«
»Schön, jetzt hören Sie mir mal gut zu: Ich weiß nicht, wer Sie angeschleppt und was man Ihnen erzählt hat, aber so langsam reicht es mir, die Visite ist beendet, Sie packen jetzt Ihre Sachen und verschwinden. Ach, und seien Sie doch so nett und stecken diese beiden kleinen Scheißer gleich mit ein.«
»Bitte, Papa, sprich nicht so mit uns. Ich weiß, dass du deine Tage damit verbringst, Scheiße aufzuheben, aber das ist keine Entschuldigung. Du hast uns gefälligst nicht so zu behandeln. Wir sind deine Söhne. Wir sind hier zu Hause.«
Ich wusste nicht, warum Nicolas das gesagt hatte. Falls es nicht Hugo gewesen war. Aber ganz gleich, es stimmte nicht. Die Zwillinge waren nicht meine Kinder. Sondern eine Entgleisung der Natur, ein unzeitiger Verlust von Spermienflüssigkeit. Für mich stellten sie nichts dar. Sie waren Unbekannte, Fremde, die in diesem Haus nur zu Besuch waren. Wie Lieferanten. Installateure von Alarmanlagen. Marie war die Einzige, die ein Anrecht darauf hatte, hier zu leben. Und das obere Stockwerk mit mir zu teilen. Über meine Unterlagenund mein Flugticket zu wachen. Ich wandte mich zu den siamesischen Zwillingen um und schlug mit aller Kraft in diesen Sprösslingshaufen, der auch ein wenig die Form eines Palindroms hatte, denn die Boshaftigkeit des einen spiegelte sich in der Heimtücke des anderen. Schon im darauffolgenden Augenblick fand ich mich am Boden wieder, von einer Überzahl feindlicher Hände überwältigt und kampfunfähig gemacht. Als ich den Kopf zur Seite wandte, sah ich den Psychiater, der im Begriff war, das zu tun, wofür er gekommen war. Der Einstich war nicht schmerzhaft, und meine Muskeln wurden innerhalb weniger Sekunden schwerelos. Die Spritze hatte mir ihr Gift injiziert. Ich sah die Welt im Ruhezustand. Die anderen scharten sich um mich. Sie sprachen, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Kurze Zeit später schnallten mich zwei Krankenpfleger auf eine Liege. Ich sah die Decke des Hauses über mich hinwegziehen und wurde in einen Krankenwagen geschoben. Wir fuhren ohne Sirenen durch die Stille. Die Person neben mir schwieg. Sie starrte mich an, als wäre ich ein sonderbares Tier.
Bei meinem Erwachen standen alle drei wieder da, genau in derselben Haltung wie an jenem Tag, an dem ich aus dem Koma erwacht war, was inzwischen Monate zurücklag, in einem ähnlichen Zimmer wie diesem hier; da standen sie mit ihren Kellervisagen, ihren Kellerkörpern, ihren Kellergedanken, ihren Kellerambitionen, ihrer Kellersexualität. Sie wollten dem Erwachen des Tieres beiwohnen, das nun weniger aggressiv und gefährlich war, in einen Käfig gesperrt, hinter unsichtbaren Gittern, Gefangener eines wohldosierten Chemiecocktails, vermutlich auf der Basis von Atarax und Anafranyl. Da standen sie, alle drei, und schnüffelten an ihrem ausder Art geschlagenen Verwandten, der ihnen ein Leben lang zur Last gefallen war. Man brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, was sie begehrten, was sie erhofften. Was sie ersehnten und ich ihnen niemals geben würde. Wenn sie es sich so sehr wünschten, mussten sie es sich schon selbst holen.
»Paul? Hörst du mich? Man wird dich hier behandeln. Es wird alles gut«, so der Chor, den Anna und ihre beiden symbiotischen Medusen bildeten, die rechts und links von ihr standen und ihr so unglaublich ähnlich sahen.
Es vergingen mehrere Tage. Nachdem die Dosis meiner Medikamente allmählich reduziert wurde, fand ich einen Teil meines Verstandes wieder. Das Leben in der Psychiatrie gab wenig Anlass zur Hoffnung, aber ich war es mir schuldig, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, Haltung zu zeigen, wenn ich hier so schnell wie möglich wieder heraus wollte. Ich hatte Dubai nicht vergessen. Montreal-Amsterdam-Dubai. Eines Tages bestimmt. Und schließlich zitierte mich Laville zu sich.
»Setzen Sie sich, Monsieur Sneijder. Ich freue mich, Sie wiederzusehen, und stelle fest, dass Sie sich von Ihrem kleinen Raptus gut erholt haben. Wir werden heute gemeinsam Bilanz ziehen. Ich verlasse mich auf Ihre Kooperativität.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher