Der Fall Sneijder
anderen, einer, der aus der Bahn geworfen wurde, inzwischen mehr oder weniger stabil ist und unter einer Aktennummer geführt wird, die niemalseine Primzahl sein wird. Für mich gibt es keinen Zweifel, dieser Kerl ist ein Vollidiot. Ich glaube sogar, das ist der Hauptgrund, warum Anna ihn ausgesucht hat. Ich habe keine Nachricht von Wagner-Leblond. Das wundert mich nicht. Die von meinen Zwillingen getroffenen Vorkehrungen verbieten es ihm, mich zu besuchen oder auch nur Kontakt mit mir aufzunehmen.
Mein erster Spaziergang draußen wird mich in den Botanischen Garten führen. Keine Ahnung, zu welcher Jahreszeit. Danach fliege ich nach Dubai. Dazu werde ich warten müssen, bis meine Unmündigkeit aufgehoben ist. Bis man mir mein Gesicht und meinen Namen zurückgibt. Und meinen Reisepass. Im Moment liegen nur sehr wenige Dinge in meiner Hand. Ich muss die Zeit spielen lassen und für den Rest auf den Zufall vertrauen. Ich hoffe jeden Tag inständig auf den Tod meiner Frau und die Auslöschung meiner Söhne. Ich vertraue dem Zufall. Ihm, der mein Leben zerstört und meine Tochter zerfleischt hat. Ich bin dabei gewesen. Ich habe sein Werk gesehen. Aus diesem Grund erscheint es mir ausgeschlossen, dass es beim jetzigen Zustand der Dinge bleibt. Dass sich eines Tages nicht ein weiterer, ebenso absurder und unvorhergesehener Unfall ereignet. Ich denke, die Hoffnung auf den Tod dieser drei Menschen verleiht mir jeden Morgen die nötige Kraft, um weiterzuleben. Ich bin nicht verrückt. Ich weiß sehr wohl, dass mich meine Antworten auf Lavilles Fragebogen verurteilt haben. Die Kellers haben schon immer gute Arbeit geleistet. Sie haben mir alles genommen, meine Tochter, meine Zustimmung und meinen freien Willen.
Ich hätte nie gedacht, dass mir die Hunde so fehlen würden,vor allem die Spaziergänge in ihrer Gesellschaft. Manchmal, wenn ich nachmittags spazieren gehe, stelle ich in Gedanken unser Gespann zusammen, und wir brechen gemeinsam auf, um im Hof eine Runde in einem guten Tempo zu drehen. Und der Fluss folgt uns. Und die gesamte Insel ist jungfräulich. Und ich brauche keine Leine mehr. Und wir sind frei, wie wir es nie zuvor gewesen sind.
Auf unseren Spaziergängen habe ich oft zu den Hunden gesagt: Ich bin der Einzige, der weiß, was unten war, der Einzige, der es gesehen hat. Vielleicht haben sie mir deswegen vertraut. Und die Menschen mir misstraut.
Nun brauche ich nur noch stumm abzuwarten, bis eintritt, was ich erhoffe, und wie ein abgerichtetes Haustier zu gehorchen. Sie halten mich an der Leine. Führen mich regelmäßig aus. Ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren: tun, was man mir sagt. Insgeheim meinen Platz in dieser Welt neu definieren. Unsichtbare Berechnungen anstellen, winzige Manipulationen vornehmen. Heimlich die Raumverteilung prüfen. Analysieren, ob sich das Umstellen lohnt.
Rückwärts denken.
Mir vorstellen, wie sie etwas aufheben.
Wenn ich den Blick meiner Angehörigen betrachte, der in jeder Hinsicht dem meiner Wärter gleicht, wenn ich ihre kleinen Menschenaugen sehe, die mich wie ein dressiertes Tier anstarren, versuche ich mir ein wenig von meiner Würde zu bewahren, indem ich allein in meiner Ecke hocken bleibe und dabei stets darauf achte, dass mein Gesicht zur Wand gekehrt ist.
Ich sehne mich danach, zu Marie zurückzukehren. Ich werde so viel Geduld aufbringen wie nötig. Bis jeder für seine Sünden gezahlt hat. Bis eines Nachts ein Regen toter Vögel auf die Stadt niederprasselt. Bis der Fluss Tausende Fischkadaver anschwemmt. Bis ich meine Tochter überall um mich herum spüre, lebendig, in jedem Baum und am Grunde dieses Gewässers.
Mein ganzer Dank gilt Gilles Mingasson, der vieles angestoßen hat und dessen geschätzte Briefe mir seit bald zwanzig Jahren einen anderen Blick auf die Welt, von der anderen Seite der Erde eröffnen.
Doktor Laville, der in diesem Buch mehrmals genannt wurde, möge ganz unbesorgt sein: Jener Mann, der die Knochen verzaubert, die Bewegungen wieder herstellt und der mir lieb und teuer ist, ist seit Kindheitstagen mein Freund.
Was meine Kinder, Claire und Didier, betrifft, so mögen auch sie beruhigt sein: Sie waren niemals Zwillinge.
Ich freue mich immer, die tröstlichen Stimmen meiner Freunde zu hören, die allzu weit entfernt leben, David Lagach, Jean-Baptiste Harang und Kean-Louis Roziès.
Benoît Heimermann, den Bezwinger halsbrecherischer Wellen, und César Roldan, den ungestümen Steuermann, bitte ich um Verzeihung für die
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