Der falsche Mörder
Adalgrímur. Schulkameraden. Politische Verbündete. Regelbrüder vom Freimaurer-Palast. Irgendwas in dieser Art.
Solche Verbindungen sind manchmal sogar noch stärker als Blutsbande.
»Ist dir bekannt, ob es im Gebäude des Obersten Gerichts Videoüberwachungsgeräte gibt?«, fragt der Vize schließlich.
»Ich habe mich damit noch nie speziell befasst«, antwortet Adalgrímur.
»Ach so. Dann kann ich dir mitteilen, dass es ein paar solcher Videokameras im Haus gibt. Wir haben aus einer von ihnen die Aufnahmen erhalten. Darauf sind Sjöfn und du zu sehen, wie ihr gegen halb vier gestern Nachmittag das Gebäude betretet, das heißt, kurz bevor sie in deinem Büro ermordet wurde.«
Adalgrímur starrt den Vize an. Er scheint total geschockt zu sein.
»Das kann nicht sein«, sagt er, »zu dieser Zeit war ich auf der Hellisheidi. Das muss ein Missverständnis sein.«
Der Vize schüttelt den Kopf.
»Wir haben mit unserem Techniker alle Möglichkeiten überprüft, ob es sich hier um einen technischen Fehler handelt, zum Beispiel ob diese Aufnahme von einem anderen Tag oder zu einer anderen Zeit gefilmt worden sein könnte, aber er hält das für ausgeschlossen. Dem Video nach habt ihr gestern kurz vor halb vier das Gebäude betreten.«
Ich sehe, dass Adalgrímur wirklich erschrocken ist.
»Willst du im Hinblick auf dieses Beweismaterial deine Aussage ändern?«, fragt der Vize.
Der Richter schüttelt den Kopf.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagt er. »Ich hänge mir doch nicht selber etwas an.«
»Wir verlangen, dieses Video zu sehen«, schalte ich mich ein. »Und zwar jetzt sofort.«
Der Vize wirft Raggi einen Blick zu. Nickt.
Raggi zieht die Fernbedienung aus der Tasche. Richtet sie auf das große Fernsehgerät, das an der Wand auf einem Tisch steht.
Einen Moment später beginnt das Video.
Die Kamera ist aus dem Inneren des Hauses auf den nördlichen Eingang des Gerichtsgebäudes gerichtet. Sie ist dort ganz offensichtlich angebracht, um alle auf Band festzuhalten, die durch die Nordtür das Haus betreten.
»Gleich kommt’s«, sagt Raggi.
Adalgrímur atmet schwer neben mir. Das Warten zerrt an den Nerven. Vor allem an seinen.
»Jetzt.«
Man sieht, wie sich ein Mann und eine Frau der Tür nähern.
Sjöfn ist leicht erkennbar, weil sie keine Kopfbedeckung trägt. Die schwarze Jacke ist bis zum Hals geschlossen. Sie hat einen engen Rock an, der genauso rot ist wie ihre Schuhe.
Der Mann an ihrer Seite hat einen dicken Mantel an. Und trägt einen dunklen Hut auf dem Kopf. Der Hut ist tief in die Stirn gezogen.
Als der Mann durch die Tür geht, sieht man einen Teil seines Gesichts. Obwohl das Bild grau und grobkörnig ist, scheint es eindeutig zu sein, dass es sich dort um Adalgrímur handelt.
Man sieht die beiden in das Haus gehen, bis sie aus dem Blickwinkel der Kamera verschwinden.
Ganz unten im Bild kann man das Datum erkennen. Und die Zeit der Aufnahme: 15:27:48, als sie aus dem Bild gehen.
Verdammt!
Ein anderer Abschnitt aus der Überwachungskamera zeigt, wie Adalgrímur über eine halbe Stunde später das Haus verlässt.
Nachdem Raggi den Fernseher ausgeschaltet hat, herrscht langes Schweigen im Konferenzraum.
Teufel noch mal! Ich muss Einspruch einlegen!
»Ich verlange, dass unabhängige Spezialisten das Band überprüfen, die Aufnahme und die ganze Apparatur von A bis Z«, sage ich. »In dieser Phase lehnen wir ab, dass dieses Video als Beweismaterial gegen meinen Klienten verwendet wird.«
»Wir werden den Fall in Kürze dem Bezirksrichter vorlegen und Untersuchungshaft auf Grund der Aufnahme beantragen«, sagt der Vize und schaut wieder auf Adalgrímur. »Willst du jetzt, wo du das Video gesehen hast, deine Aussage ändern?«
Adalgrímur schüttelt den Kopf.
»Nein«, antwortet er bestimmt. »Ich habe noch keine Erklärung dafür, aber die Aufnahme kann nicht zu der Zeit gemacht worden sein, von der du behauptest, dass es so sei, so einfach ist das. Ich gestehe, dass ich mit Sjöfn mehrere Male im Gebäude des Obersten Gerichts war, aber nicht gestern. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«
Der Vize steht auf.
»Wir haben um sechs Uhr einen Termin beim Bezirksrichter«, sagt er trocken, deutet ein Nicken in Adalgrímurs Richtung an und geht dann schnell aus dem Zimmer.
Raggi nimmt die rote Akte vom Tisch und holt die Kassette aus dem Videorecorder. Dann gibt er den anderen Goldjungs ein Zeichen, dass sie auf den Gang hinausgehen sollen.
»Ihr könnt euch
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