Der falsche Mörder
wurde.
Plötzlich wird mir mein Missgeschick klar. Wende. Und muss mehr als zwanzig Kilometer zurückfahren.
Dieser Pfad ist kein verdammter Weg. Nur schwache Reifenspuren im Schnee und in der Lava. Das ist nichts für meinen Liebling.
Ich parke den Benz am Wegesrand. Ziehe meinen warmen Thermoanzug an. Mache mich dann schnurstracks auf den Weg in die Wüste.
Ich brauche eine halbe Stunde, um über die Felsen zu stolpern.
Die Hütte ist rechteckig. Von außen schwarz wie die Lava. Oben auf dem Dach befindet sich ein kleiner Turm mit vielen kleinen Fenstern, die zum Meer weisen.
Turm des Künstlers?
Das Wasser läuft gerade auf. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, bis die Flut ihren Höchststand erreicht hat.
Die Wellen schlagen mit Getöse an den Strand. Die weiß schäumende Gischt spritzt an den Felsen unterhalb der Hütte hoch.
Toller Platz. Für Wahnsinnige.
Ich probiere Mattis Schlüssel aus. Einen nach dem anderen. Bis das Schloss an der Haustür aufspringt.
Die untere Etage sieht ganz normal aus. Eine kleine Kochnische. Ein abgewetztes Schlafsofa. Ein alter Tisch und zwei Stühle.
Der Kleiderschrank ist fast leer. Es gibt dort nur eine dunkle Winterjacke, einen roten Regenanzug und schwarze Stiefel.
Eine Holztreppe führt hinauf in den Turm.
Die Aussicht ist unverkennbar dramatisch. Für diejenigen, die generell Spaß an Meer, Felsen und Wind haben.
Der Turm ist als Arbeitszimmer eingerichtet. Hier liegt jede Menge Material herum. Bücher, Zeitschriften, Fotos, Zeichnungen.
Ein kleiner Schreibtisch steht direkt unter dem Fenster. Dort gibt es auch einen Drehstuhl auf Rädern.
Der Laptop liegt auf dem Tisch.
Bingo!
Ich setze mich auf den Stuhl. Betrachte einen Moment den schwarzen Kasten.
Aber ich kann der Versuchung widerstehen.
Warte lieber, bis ich wieder zu Hause bin.
Ich gucke aus dem Fenster. Betrachte die aufgebrachten Kräfte der Natur, die sich an den nassen Klippen austoben.
Matti hat wahrscheinlich erst vor ein paar Tagen in diesem Stuhl gesessen. Einen Plan ersonnen, wie er die Goldjungs an der Nase herumführen kann. Und mich.
Alle möglichen Pläne geschmiedet.
Ohne einen Verdacht zu hegen, dass seine nächste Verabredung mit dem Tod wäre.
Uff!
Ich öffne die Schreibtischschubladen. Aber finde nichts Interessantes.
Erst, als ich die Nacktfotos entdecke. Das rote Fotoalbum in der rechten, obersten Schublade.
Mattis Leistungsschau. Als eifriger Nachahmer des Herrn Casanova.
Er selber ist auf allen Fotos zu sehen. Aber mit immer einer neuen Liebhaberin.
Ich blättere die Seiten nacheinander durch.
Kenne die Frauen nicht. Außer Audur. Und Sjöfn.
Auf dem letzten Foto im Album sind sie zusammen drauf. Matti und Sjöfn. Sie stehen vor einem großen Spiegel. In enger Umarmung.
Wie hatte Máki sie noch genannt? Beauty and the beast? Die Schöne und das Biest?
Vielleicht.
Irgendetwas ärgert meine Gehirnzellen.
Irgendein Detail an diesem Foto stört mich. Etwas ist überhaupt nicht so, wie es sein soll.
Aber was?
Ich betrachte die beiden genauer. Sjöfns schlanke Figur. Mattis eher massigen, dicklichen Körper. Die Gesichter, die sich der Kamera zuwenden.
Was ist los?
Es dauert eine ganze Weile, bis mir klar wird, was mich so stört.
Hier stehen sie sich gegenüber. Aufgerichtet.
Die beiden sind gleich groß.
Warum kommt mir das komisch vor?
Ich versuche, die Datenbank meines Gehirns zu durchwühlen. Um eine Erklärung für dieses unerwartete und unbequeme Gefühl zu finden.
War Matti denn nicht mit Sicherheit größer als Sjöfn?
Das habe ich immer gedacht. Bin davon immer als Tatsache ausgegangen.
Aber warum?
Ich habe Sjöfn und Matti natürlich nie zusammen gesehen, als sie noch lebten.
Kenne sie nur von Fotos.
Wie zum Kuckuck bin ich auf diese falsche Idee gekommen? Dass Matti größer als sie sei?
Mein Gehirn antwortet nicht.
Schließlich gebe ich auf. Stehe wieder auf. Gucke mich erneut in Mattis privatem Turm um.
Soll ich auch die Videos suchen? Mal nachsehen, ob sie hier auch versteckt sind?
Nein. Am besten, ich lasse es sein.
Die Goldjungs müssen ja auch was zu tun haben.
Aber ich nehme den Laptop an mich.
Das rote Fotoalbum auch.
Stecke beides in eine Plastiktüte, die ich in der Küche finde.
Schließe die Haustüre ab. Mache mich unverzagt auf den Weg über diesen holprigen Pfad.
Ich marschiere immer noch mit der Plastiktüte im Arm gegen den beißenden Wind, als mir die Antwort auf meine Frage plötzlich durch den Kopf
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