Der falsche Zeuge
nur dazu dienen, Feindseligkeit gegenüber Immigranten und Ausländern zu schüren, die hier ins Land kämen, um in einheimischen Betrieben zu arbeiten und deshalb willkommene Gäste sein sollten.
Als der Abgeordnete seine Rede fast beendet hatte, gingen plötzlich die Proteste los. Eine große Gruppe von Zuhörern, zwischen zwölf bis fünfzehn Leute, stand auf und buhte den Redner aus. Andere hielten ausgebreitete Banderolen hoch, auf denen Sprüche wie »Island für Isländer« und »Reines Land, reines Volk« standen.
Die Parlamentsangestellten versuchten erfolglos, die Proteste einzudämmen. Die Demonstranten waren zahlenmäßig überlegen und gewaltbereit.
Als die staatlichen Schwarzjacken kurze Zeit später erschienen, kam es direkt vor den Fernsehkameras zu tätlichen Übergriffen.
Salvör geriet aus nicht weiter ersichtlichen Gründen mitten ins Handgemenge. Sie befand sich mal auf der Seite der einen, mal auf der Seite der anderen Partei, bis einer der Aufwiegler sie brutal von sich wegschubste. Sie stieß mit der ihr am nächsten stehenden Person zusammen, landete bäuchlings auf der Balustrade der Tribüne und fiel kopfüber direkt hinunter ins Plenum. Als die Sanitäter eine halbe Stunde später mit ihr auf der Unfallstation der Uniklinik eintrafen, war sie bereits gestorben.
Ich mache das Fernsehen aus, als die Politiker anfangen, ihre Zeugenberichte abzugeben. Habe keine Lust auf ihr Gelaber.
Ich habe aber auch keine Ruhe, einfach weiter das Kassieren von Krönchen vorzubereiten. Nicht nachdem ich gesehen habe, wie brutale Radaubrüder eine wehrlose Frau in den Tod geschickt haben.
Die Bilder aus dem Fernsehen laufen immer wieder wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Dieses starre Gesicht Salvörs in den letzten Sekunden ihres Lebens. Die Hände, die sie hin und her und schließlich über die Balustrade schubsten.
Ich schließe das Büro und gehe in die Küche, die sich im Obergeschoss des Reihenhauses befindet. Hätte nicht übel Lust, mir schnell mal einen Jackie Daniels hinter die Binde zu kippen. Meinen guten alten Freund. Das liebliche Feuerwasser aus Tennessee. Aber das muss warten.
Leider.
Weil ich mich doch heute Abend noch hinters Steuer setzen und in den Breidholt fahren muss, um diesem verdammten lauten Mieter einen Besuch abzustatten.
Ein tiefschwarzer Espresso muss erst mal reichen.
Nein, lieber nicht.
Besser, das Unangenehme erst zu erledigen.
Ich ziehe mir also erneut meine rotbraune Lederjacke an und schlüpfe wieder in die hohen Lederstiefel. Werfe einen schnellen Blick in den Spiegel auf dem Flur. Mache mich noch ein bisschen schick. Schüttele meine langen Haare, bis ich mit meinem Schmuckstück zufrieden bin.
Mein silbergrauer Benz wartet in der Garage auf mich. Aufgerichtet wie ein stolzer Hengst, der viele Preise eingeheimst hat.
Das Haus steht im oberen Breidholt, auf einem Berg im Osten der Stadt. Einer der vielen Plattenbaublocks inmitten der anderen kastenartigen Hochhäuser.
Die Wohnung von Gréta befindet sich im sechsten Stock.
Die Nachbarn haben Recht, wie man unschwer hören kann. Laute Musik dröhnt aus der Wohnung hinaus auf den Gang. Gemischt mit aufgedrehtem englischen Gequatsche. Wahrscheinlich ein ausländischer Musiksender.
Ich klopfe laut an. Anstandshalber. Dann stecke ich den Schlüssel ins Schloss und marschiere in die Wohnung.
Drinnen ist die Musik kaum auszuhalten. Genau so will ich sie haben, wenn ich in den Vergnügungslokalen der Innenstadt unterwegs bin und das Nachtleben genieße. Aber nicht zu Hause im Wohnzimmer. Noch nicht mal, wenn ich einen überwältigenden Pegel Jackie im Blut habe.
Ich mache das Licht an und knalle die Tür zu. Gehe dann schnell auf den Lärm zu. Der grölende Fernseher steht im Wohnzimmer. MTV. Volles Rohr. Die Fernbedienung ist nirgendwo zu sehen.
Scheiße!
Ich schiebe das Gerät von der Wand. Ziehe einfach den Stecker raus.
Himmlische Ruhe.
»Ist irgendjemand hier?«, frage ich laut.
Als Antwort bekomme ich nur Stille.
Das Wohnzimmer ist aufgeräumt.
Eine helle Couchgarnitur und ein Esszimmertisch à la IKEA. An einer Wand Regale und Kommoden im gleichen Stil. Video- und CD-Stapel. Auch einige Weinflaschen und Gläser in einer Vitrine.
In der Küche hingegen regiert das Chaos.
Eine angebissene Pizza auf dem Tisch. Im Topf auf dem Herd befindet sich angetrocknete Pasta. Daneben stehen viele leere Bier- und Wodkaflaschen. Benutzte Gläser, Teller und Besteck liegen in der Spüle. Und die
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