Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
sich nach einem Job beim Cirque Fantastique sehnen? Die bekommen da hundert Bewerbungen pro Woche.«
Er lächelte. »Ich habe mir über diesen Punkt bereits ein paar Gedanken gemacht. Der Unbewegliche möchte Ihnen die Idee für eine Nummer unterbreiten, die wir gemeinsam aufführen sollten.«
Damit beendete Rhyme die Schilderung für Sachs.
»Wir haben beschlossen, den Trick
Der fliehende Verdächtige
zu nennen«, sagte Kara. »Ich werde ihn in mein Repertoire aufnehmen.«
Sachs wandte sich an Rhyme. »Und wie lautet doch gleich deine Ausrede dafür, dass du mich nicht rechtzeitig eingeweiht hast?«
»Es tut mir Leid. Du warst in der Besprechung. Ich konnte dich nicht erreichen.«
»Tja, es wäre womöglich noch überzeugender abgelaufen, wenn ich Bescheid gewusst hätte. Warum hast du mir keine Nachricht hinterlassen?«
»Es – tut – mir – Leid. So. Ich habe mich entschuldigt. Wie du weißt, mache ich das nicht allzu häufig, und du solltest es eigentlich zu schätzen wissen. Aber da du es selbst angesprochen hast: Ich weiß wirklich nicht, was daran noch
überzeugender
hätte wirken sollen. Der Ausdruck auf deinem Gesicht war unbezahlbar. Er hat sehr zur Glaubwürdigkeit beigetragen.«
»Und Balzac?«, fragte Sachs. »Er hat Weir nicht gekannt? Er hatte in Wahrheit nichts mit der Sache zu tun?«
Rhyme nickte in Richtung Kara. »Reine Fiktion. Wir beide haben das Drehbuch gemeinsam verfasst.«
Sachs musterte die junge Frau. »Erst werden Sie erstochen, obwohl Sie unter meiner Obhut stehen. Dann verwandeln Sie sich in eine Mordverdächtige.« Sie seufzte genervt. »Das könnte eine schwierige Freundschaft werden.«
Kara bot an, aus dem kubanischen Restaurant etwas zu essen zu holen, da ihnen dieser Genuss doch neulich entgangen sei. Rhyme vermutete, dass sie nur nach einer Gelegenheit suchte, sich wieder diesen zähflüssigen Kaffee zu besorgen. Doch noch bevor sie eine Entscheidung treffen konnten, klingelte Rhymes Telefon. »Kommando, Telefon, abheben«, befahl er. Kurz darauf ertönte Sellittos Stimme aus dem Lautsprecher. »Linc, störe ich?«
»Kommt darauf an«, brummte er. »Was gibt’s?«
»Uns ist leider keine Pause vergönnt… Wir brauchen mal wieder deine Hilfe. Es hat sich ein absonderlicher Mord ereignet.«
»Der letzte war ›bizarr‹, wenn ich mich recht entsinne. Ich glaube, du sagst so etwas nur, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.«
»Nein, ehrlich, wir können uns keinen Reim darauf machen.«
»Also gut, also gut«, murrte der Kriminalist. »Nenn mir die Einzelheiten.«
In Wirklichkeit verbarg sich hinter Lincoln Rhymes barschem Tonfall vor allem eines: wie sehr er sich darüber freute, dass ihm auch in nächster Zeit nicht langweilig werden würde.
Kara stand vor dem Smoke & Mirrors und bemerkte Dinge, die ihr in den letzten anderthalb Jahren noch nie aufgefallen waren. Ein Loch in der oberen linken Ecke der Schaufensterscheibe, das von einer Kleinkaliber- oder Schrotkugel stammen musste. Eine kleine Graffiti-Schmiererei auf der Tür. Ein verstaubtes Buch über Houdini in der Auslage, auf dessen aufgeschlagener Seite geschildert wurde, welche Art von Seilen er bei seinen Nummern bevorzugt hatte.
Im Innern des Ladens sah sie etwas aufblitzen – Mr. Balzac, der sich eine Zigarette anzündete.
Sie atmete tief durch. Also los, dachte sie und ging hinein.
Er stand am Tresen und unterhielt sich mit einem Mann mittleren Alters – dem Freund, der letztes Wochenende in die Stadt gekommen war, ein Illusionist aus Kalifornien. Balzac stellte Kara als seine Schülerin vor, und der Besucher gab ihr die Hand. Dann plauderten sie eine Weile darüber, wie sein Auftritt am Vorabend gelaufen war und wer sich derzeit noch in New York aufhielt… der typische Klatsch, den Künstler überall auf der Welt austauschten. Schließlich nahm der Mann seinen Koffer. Er war unterwegs zum Kennedy Airport, um den Heimflug anzutreten, und hatte einen Zwischenstopp im Laden eingelegt, weil er die geborgten Utensilien zurückgeben wollte. Er umarmte Balzac, nickte Kara zu und machte sich auf den Weg.
»Du bist spät dran«, sagte der Zauberkünstler schroff zu ihr. Dann fiel ihm auf, dass sie nicht wie üblich ihre Tasche hinter dem Tresen abstellte. Er sah auf ihre Hände. Kein Kaffeebecher. Das war natürlich der deutlichste Hinweis darauf, dass irgendetwas nicht stimmte.
Er runzelte die Stirn. »Was ist los?«, fragte er und zog an seiner Zigarette. »Red schon.«
»Ich
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