Der Fehler des Colonels
sie in Frieden!«, sagte der Wärter, der sich zu schämen schien. »Sie ist Zeugin! Wegen deinem Schwanz will ich nicht diesen Job verlieren.«
Die Wärter hatten sich zurückgezogen. Die Zellentür war ins Schloss gefallen.
Aber sie hatte sich einen Feind gemacht.
»Wie schlimm war’s?«
Daria sah Mark an, versuchte einzuschätzen, ob es sich lohnte, es ihm zu erzählen. Er hatte ein kantiges Kinn und dunkelbraune, weit auseinanderstehende Augen mit schweren Lidern, die ihn ein wenig gemein aussehen ließen. Aber zu ihr war er nie fies gewesen. Er war nur mittelgroß, seine Hände eher klein, seine Handflächen weich und sein Haar grau meliert. Vor seiner Tätigkeit als Chief of Station/Aserbaidschan war er Analyst beim Nachrichtendienst gewesen.
Sie dachte an die Wärter und konnte sich leicht vorstellen, dass einer von ihnen Mark am Hemdkragen packte und ihm die Scheiße aus dem Leib prügelte.
»Nur Beleidigungen«, sagte sie.
»Wie kommt’s, dass deine Bluse zerrissen ist?«
»Pass auf, ich habe den Wärtern gesagt, dass du mich kennst und helfen könntest, die Sache hier aufzuklären. Meine Bankkarte hatten sie schon. Ich hab ihnen meine PIN versprochen, wenn sie mir erlauben würden, mit dir Kontakt aufzunehmen.«
»Ich habe vor sechs Monaten sämtliche Verbindungen zur Agency gekappt, Daria. Wirklich, ich nehme nicht mal mehr an Beratungen teil.«
Dass er wegen der Videokamera mit Bedacht sprach, entging ihr nicht. Und sie vermutete, dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Aber er leitete die Aseri-Station nicht mehr, und nur das zählte.
»Ich hatte sonst niemanden, an den ich mich wenden konnte.«
Was nicht stimmte. Aber sie hoffte, Mark würde begreifen, dass sie es nicht riskieren konnte, einen aktiven CIA-Agenten zu kontaktieren, der in Baku stationiert war. Dass sie ihn ausgesucht hatte, einen ehemaligen Chief of Station, der jahrelang eng mit dem Aseri-Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, um eine Verbindung zur CIA anzudeuten. Damit die Aseris von dem Gedanken abkamen, sie sei eine iranische Attentäterin, ohne dass ihre Tarnung komplett aufflog.
Mark hielt ihrem Blick stand, bis sie ihre Händen von den seinen löste, sich abwandte und sagte: »Tut mir leid, dass ich dich da reingezogen habe. Ich dachte, vielleicht rufen sie dich einfach an und –«
»Was brauchst du, Daria? Ich werde tun, was ich kann, um dir zu helfen.«
»Es wäre gut, wenn die richtigen Leute erfahren, dass ich hier bin«, sagte sie. »Wenn du dafür so schnell wie möglich sorgen könntest. Das ist alles.«
4
Mark wurde einfach vor die Gefängnistore geführt, was hieß, dass er die drei Kilometer bis zu der staubigen Stadt Gobustan laufen musste – eine Demütigung, die ein Mann von seiner Stellung nicht sollte erleiden müssen, dachte er. Draußen war es noch dunkel und er war müde und ärgerlich, dass er weder Socken noch Unterwäsche trug. Bald bekam er Blasen an den Füßen und in seinen Schuhsohlen blieben immer wieder Steinchen stecken.
Das soll wohl alles ein Witz sein, dachte er.
Er überlegte, wie beunruhigend der Vorfall auf Nika wirken musste. Für sie war er ein ehemaliger Beamter im auswärtigen Dienst, der sich für einen beruflichen Neuanfang entschieden hatte. Dass er wie ein gewöhnlicher Verbrecher von Aseri-Sicherheitskräften abgeführt worden war, würde ihr Angst machen. Und ihre Neugier wecken. Er hoffte, dass sie ein Taxi zum Haus ihrer Eltern genommen hatte, wo sie mit ihrem Sohn lebte.
In Gobustan konnte er einen jungen Mann, der gerade mit seinem Vater eine AzPetrol-Tankstelle öffnete, überreden, ihn für zehn Manat, zahlbar bei Ankunft, nach Baku zurückzufahren. Über die zweispurige Autobahn rasten sie am Kaspischen Meer entlang in einem schrottigen russischen Wolga mit schmutzigen Decken als Sitzbezug durch eine öde Wüstenlandschaft. Die Autofenster waren geschlossen, dafür blies die voll aufgedrehte Lüftung den Geruch von Autoabgasen ins Innere des Wagens und gab dabei ein schrilles Jaulen von sich.
Zur Rechten schienen die riesigen Ölbohrinseln auf dem ruhigen Meer im heiteren, orange schimmernden Licht der Dämmerung auf dem Wasser zu schweben.
Nika war nicht mehr in seiner Wohnung, aber als er sie auf ihrem Handy anrief, ging sie sofort dran.
»Wo bist du?«
Ihr besorgter Ton warf die Frage auf, ob sie überhaupt ein Auge zugetan hatte. Das überraschte ihn ein bisschen. Sie kannten sich erst seit ein paar Monaten. Weder er noch sie hatten
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