Der Fehler des Colonels
von Liebe oder so was gesprochen.
»Wieder in meiner Wohnung.«
»Steckst du in Schwierigkeiten?«
»Nicht wirklich.«
»Ich habe die US-Botschaft angerufen. Sie sagten, sie könnten erst am Morgen etwas unternehmen.«
»Es geht nur um einen Beamten im auswärtigen Dienst, den ich kenne. Er wurde betrunken auf der Straße aufgegriffen und dachte, ich könnte ihm in seiner misslichen Lage helfen, da hat er ihnen meinen Namen genannt.«
»Und deshalb mussten die dich mitten in der Nacht wegkarren?«
»Ja, ich werde wohl eine Beschwerde bei meinem gewählten Volksvertreter einlegen.«
»Wie bitte?«
Obwohl Nika ziemlich flüssig Englisch sprach, blickte sie bei Sarkasmus manchmal nicht ganz durch.
»Ich scherze nur«, sagte Mark und dachte, wie eine flüchtige Berührung mit seinem früheren Leben alte Gewohnheiten weckte. Während seiner Arbeit für die CIA hatte es eine Menge Anlässe für Sarkasmus gegeben. Aber nach seiner Trennung von der Agency hatte er beschlossen, nicht mehr alles mit zynischem Blick anzusehen. »Weißt du was«, sagte er im freundlichsten Ton, den er zustande brachte. »Es tut mir leid, was gestern Abend passiert ist. Es war ein bisschen verrückt, ist klar, aber darüber müssen wir uns jetzt keine Sorgen mehr machen. Danke, dass du die Botschaft angerufen hast.«
Wenn er daran dachte, wie sie vor den Sicherheitsgorillas die Stellung gehalten hatte, mochte er sie noch mehr als ohnehin schon.
»Ich bin froh, dass es dir gut geht«, seufzte sie. »Wenn so etwas passiert, kommen die Leute manchmal nicht zurück.«
Mark versprach, ihr noch heute beim Abendessen in ihrer Wohnung alles zu erzählen.
Als er aufgelegt hatte, zog er Unterwäsche und Socken an – was sich wie echter Luxus anfühlte. Dann suchte er seine Lesebrille mit dem Silbergestell und seinen schwarzen Diplomatenausweis heraus.
Bevor er zur Botschaft aufbrach, inspizierte er flüchtig seine Wohnung. Es sah fast so aus, als wäre sie durchsucht worden, obwohl er das nicht glaubte. Ein orangefarbenes Strandhandtuch lag vor dem Badezimmer auf dem Boden. Vom gestrigen Frühstück stand noch ein unabgespülter Teller auf der gefliesten Anrichte bei der Spüle. Verstreut um den Computer im Gästezimmer lagen seine handschriftlichen Notizen zu dem Buch, an dem er schrieb. Der Arbeitstitel lautete S
owjetische Nachrichtendienstoperationen in der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik 1918–1922.
Vor einem halben Jahr hätte Mark eine solche Unordnung in seiner Wohnung nicht einreißen lassen, weil es dann zu schwierig gewesen wäre zu sehen, ob in seiner Abwesenheit irgendein Gegenstand bewegt worden war. Während seiner Zeit bei der CIA hatte alles seinen festen Platz gehabt. Jetzt herrschte Chaos.
Es war erst halb sieben, noch kaum Verkehr auf den Straßen. Ein paar rußbedeckte Kleinbusse rumpelten die Straße entlang. Schon wurden die Gehwege gekehrt, zumeist von alten Frauen mit übergroßen Reisigbesen, die in seinen Augen wie Bündel aus Anmachholz aussahen. Der Anblick, wie sie unter den Maulbeerbäumen fegten, erinnerte Mark daran, warum er Baku mochte, warum er geblieben war. Warum seine Entscheidung für eine Lehrtätigkeit an der Western University – wo er sich zusätzliche akademische Referenzen holen wollte, ehe er sich für eine bessere Stelle in Amerika oder Europa bewarb – gar nicht so schlecht gewesen war.
Er beschloss, die Geschichte mit Daria umgehend zu regeln. Der Tod Campbells war keine Kleinigkeit, aber sobald die US-Botschafteine Möglichkeit fand, die Aseris zu überzeugen, dass Daria nichts damit zu tun hatte, war sie aus dem Schneider. Er stellte sich vor, dass er gegen halb acht wieder in seiner Wohnung sein, bis mittags schlafen und nachmittags an seinem Buch arbeiten konnte, bis es Zeit für das Abendessen mit Nika war.
Die Botschaft lag an der Azadlyq-Allee, einer Hauptverkehrsstraße, die Richtung Norden aus der Stadt hinausführte. Vier Marines, statt der üblichen zwei, hielten draußen Wache. Alle waren mit M-16-Sturmgewehren bewaffnet. Da die Soldaten der Botschaft nie sehr lange in Baku stationiert waren, kannte Mark keinen von ihnen.
»
Qapali
«, sagte der Mann im Wachhaus. »Verstanden? Geschlossen. Kommen Sie um neun Uhr wieder.«
Er musterte Mark misstrauisch.
Mark hatte sich seit zwei Tagen nicht mehr rasiert und war wie ein typischer Aseri gekleidet – schwarze Halbschuhe, eine graue Hose aus Polyestermischgewebe und ein zerknittertes schwarzes Hemd mit
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