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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Telefon, sondern ick soll Ihn’ die Story mit alle
Beredsamkeit schildern. Det ha’ ick jemacht!«
    Er sah stolz aus wie ein kleiner Junge.
    Barbara stand auf. Sie mochte ihn nicht
besonders, aber sie überwand sich und gab ihm einen leichten Kuß auf die
Schläfe.
    Er strahlte sie an.
    »Un’ nu kommt der Clou von ‘t Janze!
Wie spät ham wa? Jenau zwölf Uhr dreißig beim Jongschlag! Un’ jetzt soll’n Se
Jakoben anklingeln!«
    »Was? Ich — ihn anrufen?«
    »Klar! Zwischen Zwölf und eins! Nummer
ha’ ick! Ran an die Strippe!«
    Unglaube stand in ihren Augen. »Ist das
wirklich wahr?«
    »Ham Se schon mal ‘n Fuchs schwindeln
sehen? Hier — « er kramte einen Zettel aus der Tasche, »Vorwahl, Nummer, alles
da! Nu mal los, sonst ist er wieder blau und vasteht nischt von die jemurmelten
Liebesschwüre!« Er grinste wieder ganz fröhlich, als wäre er entzückt, ihr die
Freude machen zu können.
    Sie zögerte noch, dann ergriff sie
rasch den Zettel und drehte sich um zum Telefon.
    Fuchs stand mit geschmeidiger Bewegung
auf. Seine Hand verschwand in der Tasche. Er fühlte den glatten Stahl des
Griffes. Mit einem Schritt stand er hinter Barbara. Er sah unter der roten
Seide die Schulterblätter, ganz leicht sprangen sie vor. Links zwischen
Schulterblatt und Wirbelsäule, das war die Stelle.
    Barbara hob den Hörer hoch. Der kleine
Fuchs legte den Daumen um den Knopf am Messergriff. Seine linke Hand pendelte
hoch.
     
    *
     
    Die Flurglocke schrillte. Gellend und
unaufhörlich.
    Fuchs fuhr zusammen. Eine Sekunde noch
blieb er auf den Zehenspitzen stehen. Dann fiel er zurück. Ließ den Arm fallen.
Er merkte, daß Barbara ihm ins Gesicht sah.
    »Herr Fuchs? Was haben Sie denn?«
    »Ich — nichts. Wollte zusehen, ob Sie
richtig wählen.«
    »Sie sind ja ganz blaß!«
    »Tatsächlich? Det muß der Schnaps
machen! Ick bin erschrocken. Wat bimmelt der blöde Hund so schauerlich?«
    Es klingelte weiter. Sie sahen sich an.
Barbara bemerkte Schweiß auf seiner Stirn. Ganz anders sah er aus, nicht mehr
wie ein lustiger Berliner Junge.
    Jetzt klopfte es draußen an die Tür.
    »Sollen wir aufmachen?« fragte sie.
    Viele Gedanken hatte er.
    Es war eine verdammte Teufelei bei
dieser ganzen Geschichte. Nichts klappte, überall kam etwas dazwischen, ein
Unstern stand über ihnen allen. Auf einmal sollte man allein entscheiden. Er
war allein. Dreißig Sekunden später, und er hätte hier gesessen mit dem toten
Mädchen. Und jetzt klopfte einer draußen.
    Sollen wir warten? Aufschub?
    Sollen wir aufmachen?
    »Wird das beste sein.«
    Er ließ das Messer los. Barbara lief
zur Tür. Das Klopfen unterbrach. Eine Stimme rief: »Fuchs! Fräulein Bärbel?
Seid ihr da?«
    Ihre Blicke kreuzten sich. Auf einmal
sah Fuchs wieder aus wie immer. »Det is doch —«
    »Herr Wuck!«
    »Auf jeden Fall seine Stimme. Denn wird
der Rest ooch draußen sein.«
    Barbara war schon auf dem Flur. Sie riß
die Tür auf. Das mürrische, abweisende Gesicht mit den unheimlichen
Brillengläsern war ihr auf einmal so vertraut, als hätte sie etwas lange
Entbehrtes wiedergefunden.
    »Fried — Herr Wuck! Das ist schön!«
    Sein Gesicht blieb ernst. »Ist der
Fuchs da, der Hallodri, der versoffene?«
    »Nu drück dir mal bißken jewählter aus!
Du bist hier nicht in deine Destille!«
    »Kommen Sie, Herr Wuck!« Barbara faßte
seine Hand und zog ihn mit. Wucks Blick erfaßte den Kleinen.
    »Na, alter Bierhahn? Wat führt dich
denn in diese Hütte?«
    Der Wirt lächelte nicht. »Bist du
nüchtern?«
    »Et jeht.«
    »Wie kommst du hierher?«
    Etwas in seinem Ton ließ Barbara
aufhorchen. Merkwürdig. Alle waren anders heute.
    »Jakob hat mich hergeschickt. Sollte
der Bärbel wat bestellen.«
    »Was solltest du ihr bestellen?«
    Fuchs öffnete die Augen etwas weiter.
»Na, daß Jakob noch nicht kommt, der bleibt noch draußen mit den anderen, und...
ist irgendwas mit ihm?«
    Der Wirt nickte langsam. »Ja. Er ist
verunglückt. Liegt im Krankenhaus.«
    Fuchs nahm die Hand aus der Tasche. Er
war so ratlos wie noch niemals in seinem Leben.
    »Was?«
    Barbara fühlte den Schreck wie einen
elektrischen Schlag. Er lähmte sie, sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Herz,
das sie nie gespürt hatte, schlug kurz und hart, das Blut rauschte in den Ohren,
sie hatte es gewußt/immer gewußt, sie hatten also gelogen, Jakob auch, es war
kein Ausflug, es war etwas anderes, Furchtbares, der alte Doktor hatte es
gesagt. Sie spürte die Blässe auf ihrem Gesicht, die Haut wurde ganz

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