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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Schwester.
Sie war schon älter, sie blickte streng. Kein Wunder bei seinem Lebenswandel.
    »Ausgeschlafen?«
    »Schwester«, sagte er. Seine Stimme
klang wie die eines Säuglings. »Der wievielte ist heute?«
    »Der einunddreißigste Mai«, antwortete
sie.
    Der Einunddreißigste. Mittwoch. Gestern
nacht war es passiert. Noch nicht zu spät.
    »Ich muß telefonieren!«
    Sie gab keine Antwort, hob nur die
Brauen. Die Tür schloß sich wieder.
    »Schwester!«
    Nichts. Weg war sie.
    Was sollte man bloß machen? Aufstehen
und raus hier.
    Er versuchte, mit dem Oberkörper
hochzukommen. Völlig ausgeschlossen. Alles war aus Gummi, nichts hielt, kein
Gelenk, kein Muskel.
    Dann hörte er Schritte auf dem Flur.
Sie kam zurück. Dank dem Himmel.
    Es war nicht die Schwester. Ein Mann im
weißen Mantel, mit weißen Hosen, das Polohemd am Hals offen. Er hatte einen
mächtigen Schädel mit wenigen, unordentlichen Haaren. »Na, mein Lieber? Wie
fühlen wir uns?«
    Natürlich. Wir uns. Daß das niemals
rauszubringen war aus den Ärzten.
    »Wie Sie sich fühlen, weiß ich nicht«,
sagte der Feigling. »Mir geht’s gut. Vielen Dank. Ich möchte telefonieren.«
    Der Arzt betrachtete ihn mißbilligend.
Schon der zweite heute. »Ich fürchte, das wird nicht gehen. Aber wenn Sie sich
wohl genug fühlen zu telefonieren, können Sie vielleicht auch ein paar Fragen
beantworten.«
    In seiner Stimme war keine Fürsorge.
Die waren hart zu einem Blessierten. Oder die Schrammen, die er hatte, waren
nicht weiter schlimm. Prima.
    »Fragen Sie, Onkel Doktor.«
    »Oh, nein, nicht ich. Die Polizei
möchte sich mit Ihnen unterhalten.«
    Hase lächelte. Es tat weh am Hals. »Bin
ich denn vernehmungsfähig?«
    »Das sind Sie. Wir haben nur gewartet,
bis Sie aufwachen.«
    »Ist es schlimm mit mir?«
    »Sie haben drei Streifschüsse. Hals,
Schulter, Brustweichteile.«
    »Keine Kugel im Wanst?«
    »Nein. Sie brauchten nur die
Wundversorgung und eine Transfusion.«
    »Oh, das ist fein. Ich bin nämlich in
keiner Kasse.«
    Der Arzt zog die Brauen hoch, noch
höher als vorher die Schwester. Er ging hinaus.
    Ach je, Polizei. Es gab Schlimmeres.
Schulz, Carls, Bärbel.
    Der Kommissar hielt den Hut in der
Hand. Er trug einen blauen Regenmantel mit Gürtel. Er hatte ein nettes Gesicht,
mit netten Augen, es machte ihm sichtliche Mühe, ebenso streng auszusehen wie
das ärztliche Personal.
    Es war keine Zeit zu verlieren.
    »Bitte setzen Sie sich, wenn ein Stuhl
da ist, Herr Kommissar«, sagte Jakob. »Es muß schnell gehen. Sie wissen, ich
kann wieder ohnmächtig werden. Sie wollen hören, was ich getrieben habe in der
letzten Nacht. Sie haben mich gefunden in einem Jagdhaus im Wald, abgeschossen.
Zwei Tote haben mich bewacht. Draußen auf der Wiese lagen vermutlich noch ein
paar. Nicht weit weg, in einer Lichtung, stand ein Wagen. Keiner hatte einen
Ausweis bei sich, die Toten nicht, ich nicht. Nur Pistolen und Lampen und
Munition. Ja?«
    »Ja«, sagte der andere.
    »Gut.« Jakob hustete, faßte nach seinem
Hals. »Hören Sie. Das wird sich alles aufklären. Alles. Aber wenn Sie mich
jetzt nicht telefonieren lassen mit meiner Dienststelle, dann passiert
vielleicht noch das richtige Unglück. Holen Sie mir ein Telefon. Sie können
zuerst selber sprechen, dann erfahren Sie mehr, als ich Ihnen sagen kann!
Machen Sie es, Mann, holen Sie es! Ich muß mit meinem Chef sprechen! Ich muß!«
    Der Mann von der Polizei sah ihm
prüfend ins Gesicht. Jakob erwiderte flehend seinen Blick. Mein Gott,
hoffentlich ist er vernünftig! Hol doch das Ding, der Meister wird dir schon
sagen, was los ist.
    Der andere nickte, ging fort vom Bett
und zur Tür.
    Jakob wurde es einen Augenblick
schwindlig.
    Dann kamen sie zurück. Der
Kriminalmensch. Hinter ihm die strenge Schwester. Sie trug einen Apparat mit
weißem Gehäuse, herrliches Gebilde, sie stellte es auf den Nachttisch, zog die
Schnur lang. Kling. Der Stecker war drin.
    Jakob sah den Polizisten an.
    »Vielen Dank, Schwester«, sagte der
Mann im Trenchcoat. Die Schwester nickte und verschwand.
    Der Polizist nahm den Apparat. Er
stellte ihn vorsichtig auf Jakobs Brust. Er sagte nichts.
    Der Feigling hob den Hörer ab. Seine
Finger zitterten.
    »Null vorwählen«, sagte der andere.
    Jakob wählte die Nummer.
    »Hallo.«
    Eine Glocke zu Weihnachten. Die Stimme
des Meisters.
    »Johann Jakob.«
    »So? Wird Zeit.« Es war wieder Metall
mit Samtüberzug in der Stimme.
    »Meisterchen«, sagte Jakob mühsam.
»Augenblick. Erst mit der

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