Der Feigling
Hier oder an der Theke. Wiedersehen, Fräulein
Barbara.«
»Sie lassen mich allein?«
»Sie sind doch nicht allein. Viel Zeit
haben Sie sowieso nicht. Dann kommt der Doktor und wirft Sie raus. Da kennen
die nichts. Komm, du Galgenvogel!«
»Wiedersehen, Jakob«, sagte der kleine
Fuchs. »Beinahe hätten wir uns geirrt. Das wär’ ein Ding gewesen!«
»Beinahe«, sagte Jakob. »Trotzdem Dank
für alles, Siegfried.«
Fuchs wedelte mit der Hand. An der Tür
drehte er sich noch einmal um.
»Der Puls ist am Handgelenk, Fräulein
Bärbel!« sagte Wuck.
»Fieber messen ist hinten!« rief Fuchs.
»Raus, ihr Halunken!«
Zwei grinsende Köpfe verschwanden.
Am Bett sagte Bärbel: »Der Stuhl ist so
blöd. So hart. Kann ich mich nicht aufs Bett setzen?«
Der Feigling wiegte den Kopf. »Ich weiß
nicht, was die Oberschwester dazu sagen wird. Komm aufs Bett!«
Sie kam, war dicht bei ihm. »Tut’s
wirklich nicht weh?«
»Ach was. Diese Sanitäter wickeln viel
mehr drum, als drunter los ist.«
»Du bist ein Schwindler.«
»Natürlich.« Er richtete sich etwas
auf, Barbara half ihm.
»Wir sind alle Schwindler, Bärbel.
Unser ganzer Haufen.«
»Ich weiß. Ich habe es geahnt.«
Er bat sie im Herzen um Verzeihung.
»Deine Ahnung wäre beinahe teuer
geworden.«
»Teuer? Wieso?«
Er streichelte ihr Gesicht. »Das ist
eine lange Geschichte, Bärbel. Ich erzähle sie dir, wenn alles erledigt ist. Im
Augenblick habe ich nicht den Mut dazu. Frag mich nicht.«
»Ich frage nicht, Greis. Nur — geht das
immer so weiter? Ich meine — das ist nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Diesmal hast du noch Glück gehabt.«
»Irgendeinen Beruf hat jeder.«
»Warum gerade den?«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu
machen, Kleine. Ich werde bald pensioniert. Wir alle werden pensioniert. Wir
sind langsam zu alt für das Gewerbe. Das war unser letzter Ausflug.«
»O fein! Greis — « sie kam mit dem Kopf
herunter an seine verbundene Brust, »wenn du wieder gesund bist — dann möchte
ich mit zum Frühschoppen — zu euch ins Lokal, zu Fritz — der war so nett zu mir
heute — der Fuchs auch, nur in der Wohnung, da war er komisch — ganz unheimlich
auf einmal...«
Der Feigling hielt sie ganz fest. Er
zitterte.
»Aber ich freue mich darauf — auf
Walter und auf...«
»Er kommt nicht wieder, Bärbel.«
Sie richtete sich auf. Ihre Augen
hatten Furcht.
»Nicht? Ist er — nicht da?«
»Er kommt niemals wieder. Carls auch
nicht. Niemals.«
»Aber — was —«, sie konnte nicht
weitersprechen.
»Sie haben nicht so viel Glück gehabt
wie ich.«
Barbara dachte an eine scheußliche
Zigarre. An einen Mann, der Sie schwenkte und dabei klassische Verse sprach.
Der sie zuerst beschimpft und den sie dann liebgewonnen hatte.
Walter. Der Anwalt.
»Der Edelmann stirbt entweder, oder er
wird hingerichtet! Net wahr?«
Nun waren sie gestorben.
Sie fing an zu weinen, das Schluchzen
schüttelte sie, die Tränen fielen heiß auf die Bettdecke. Der Feigling sagte
nichts und tat nichts, er sah sie nur an. Er konnte nicht helfen. Sich nicht
und ihr nicht.
Barbara wischte ihre Augen. Die Tränen
kamen noch einmal, versiegten langsam. Sie putzte ihre Nase. Dann ging sie zum
Spiegel und puderte ihr Gesicht. Jakob erwartete ihre Frage, als sie wieder bei
ihm saß. Sie fragte nicht.
»Wir gehen zum Frühschoppen, Bärbel«,
sagte er leise. »Sie sind immer bei uns. Und du bleibst immer bei mir — wenn du
möchtest. Die Pension wird reichen.«
»Greis!«
»Jaja. Ich hab’ mich die ganze Zeit
darauf gefreut, deinen Vater anzuschmieren — der wird fluchen, wenn er merkt,
daß er in die Sch...«
»Greis!«
»Ich meine, daß er danebengetreten ist
— woher hab’ ich nur immer diese Ausdrücke —, wir können es probieren — wenn
wir auch keinen Scheidungsanwalt mehr haben...«
»Wird sich schon ein anderer finden!«
Der Oberarzt betrat das Zimmer, als sie
sich küßten. Sie hörten ihn, aber sie ließen nicht ab voneinander. Der Arzt
räusperte sich hinter der vorgehaltenen Hand.
Der Feigling fragte an Barbaras Ohr
vorbei: »Gegen wie viele Punkte der Hausordnung wurde verstoßen?«
»Nahezu gegen alle!« Der Chirurg kam
heran. Barbara setzte sich aufrecht und sah schuldbewußt aus. »Junge, Junge —
Kindchen. Sie wirken ja wie Medizin auf den Mann! Werde Sie auf Retorten
abfüllen lassen!«
»Die Kasse wird’s nicht zahlen«, sagte
Hase.
Der Arzt schmunzelte. »Nun ist aber
Schluß! Sein Herz ist noch zu schwach. Wenn er raus
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