Der Finanzer
Verlassen des Bahnhofes völlig ratlos da. Wo soll er Zenzi
suchen? Das Nachfragen an sich ist schon eine mißliche Sache und wird dem Ruf des Mädchens schaden. Kann sich
Lergetbohrer doch denken, was die Leute sagen werden. Erst bringt der Finanzer die Familie um Haus und Hof, den Vater in den
Kerker, die Tochter ins Elend, und hintendrein versucht der Verräter gar noch eine Annäherung an die
unglückliche Waise. In Uniform bei den Leuten anzufragen, ist undenkbar. Zum Respizienten zu gehen, vermag Anton nicht,
und eine Anfrage beim Kommissar ist zwecklos und wenig taktvoll. Ob die Kollegen von Zenzis Aufenthalt Kenntnis haben werden?
Anton verwirft auch diesen Gedanken, um üblen Nachreden auszuweichen.
Unschlüssig und planlos schlenderte er durch die Gassen, und absichtslos, rein zufällig, geriet er in die
Nähe der ehemaligen Wüsteler Wirtschaft. Anton merkte das erst durch die Wahrnehmung, daß die Ladeninhaber
auf die Gasse traten und zu tuscheln begannen. Sie haben den Finanzer erkannt, der Wüsteler ins Unglück gebracht,
und ereifern sich nun nicht wenig über die Tatsache, daß jener Mensch, gleichsam um sich zu brüsten mit
seiner Heldentat, an der Stätte des Unheils vorüberstolziert.
Lergetbohrer beeilte sich, diese Gasse zu verlassen, und bog in ein Seitengäßchen ein, das in die Oberstadt
hinaufführte.
Dort ist's kirchenstill und ruhig auch in den kleinen alten Häusern. Am Ende eines Gäßchens spielen zwei
Hunde miteinander, deren einer eine seltsame Ähnlichkeit mit Flock hat. Sollte das Hündchen wirklich Flock sein?
Anton pfeift, um sich zu vergewissern, und tritt näher hinzu. Der Hund stutzt, horcht auf, und nun erkennt er seinen
Herrn, auf den er freudig bellend losstürmt.
»Flock, Flock, mein Liebling!« begrüßt Anton sein Hündchen, das an ihm emporspringt und einen
tollen Freudenlärm vollführt. Kaum kann sich Anton der Liebkosungsversuche seines Hundes erwehren, der Spektakel
ist schier betäubend.
Da öffnet sich an einem nahegelegenen Häuschen ein Fenster; ein gramerfüllter Frauenkopf wird sichtbar, und
eine Stimme ruft Flock herbei. Anton blickt auf und erkennt zu seiner Herzensfreude die treue Pflegerin seines Lieblings.
Jubelnd ruft er hinauf: »Zenzi! Liebe Zenzi!«
Jäh errötend zieht sich das Mädchen zurück.
Anton aber stürmt, vom bellenden Flock begleitet, in das Häuschen. Gefunden, gefunden durch Flock!
Schmerzlich freilich ist dieses Wiedersehen. Anton erzählt, daß er vor wenigen Tagen erst die traurige Kunde
erfahren, auf welche hin er nach Bregenz geeilt sei.
Still weint Zenzi vor sich hin, umschmeichelt von Flock, der das arme Mädchen sichtlich zu trösten bestrebt ist.
Und auch Anton versucht zu trösten und seiner innigsten Anteilnahme Ausdruck zu verleihen.
Dankend reicht Zenzi ihm die Hand; eine letzte Zähre rollt über die Wange, müde lächeln die
seelenvollen Augen.
Auf Wiedersehen!
Flock bleibt auf die Bitte Zenzis zurück, und gern gewährt Anton diese Bitte.
*
Als das Trauerjahr abgelaufen war, wagte Lergetbohrer, der nach Bregenz als Bezirksleiter zurückversetzt worden, um
Zenzis Hand anzuhalten. Schlicht und ehrlich gab er seinen Gefühlen warmen Ausdruck. Doch das Mädchen
erklärte, den Antrag ablehnen zu müssen, weil er dem Mitleid entsprungen sei.
Lange mühte sich Anton, diesen Gedanken zu verscheuchen. Die Liebe wurzelte ja schon in seinem Herzen, ehe er ahnen
konnte, welches Geschick hereinbrechen werde. Daß seine Hand und sein Dienst dieses Unglück über Zenzi
brachte, niemand könne es schmerzlicher sein als ihm selbst.
Zenzi betonte ihre Armut und verwies auf Antons Dienststellung, mit welcher es unverträglich sei, die Tochter eines
Steuerdefraudanten und Schmugglers als Frau heimzuführen. Doch alle Gründe bestritt der Werber, und
schließlich siegte seine ehrliche Bitte. Zenzi willigte ein, Antons Weib zu werden.
Welche Seligkeit, welches Glück!
Doch der hinkende Bote humpelt immer hinterdrein. Mit Schrecken erinnert sich Anton, daß zum Heiraten in seiner
Dienststellung der Konsens des Finanzministeriums notwendig ist und daß diese Erlaubnis nur auf Grund eines sehr
günstigen Führungsattestes bzw. Nachweises etwaig vorhandenen Vermögens erteilt werden wird.
Solche Gedanken dämpfen jegliche Begeisterung. Und völlig ernüchtert wurde Anton, als er gelegentlich eines
Besuches vom Kommissär belehrt wurde, daß, die ministerielle Genehmigung vorausgesetzt, eine Heirat
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