Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
niedriger als erwartet, weil die Gläubiger einfach keine andere Chance hatten. Paradoxerweise geht die Verhandlungsmacht nämlich in dem Moment auf den Schuldner über, in dem er Bankrott erklärt. Auch der Fall Island bestätigt dies.
Argentinien setzte also auf Inflation und Wachstum, um aus der Schuldenkrise herauszukommen. Der IWF hingegen vertritt eine Sparpolitik, die letztlich zur Deflation führt. Ebendiese wird heute den PIIGS-Staaten aufgezwungen. Dazu muss gesagt werden, dass Argentinien mittlerweile auf die Hilfen des IWF verzichten kann, da es aufgrund eines Überschusses in der Handelsbilanz einen positiven Primärsaldo aufweist. Was das heißt? Dass die Verschuldung auf dem Kapitalmarkt nur dazu diente, den Schuldendienst zu leisten, nicht aber dazu, das Wirtschaftswachstum zu fördern. In Griechenland hingegen werden die Kredite dazu genutzt, die Staatsausgaben zu decken. In Italien jedoch ist nach den Sparmaßnahmen von 2011 ein leichtes Plus beim Primärsaldo zu verzeichnen.
Zehn Jahre nach dem Staatsbankrott schreibt Argentinien also wieder schwarze Zahlen, auch wenn es weiterhin mit einzelnen Problemen zu kämpfen hat. Die Inflation ist zu hoch – einige Analysten geben sie mit 25 Prozent an, während die Regierung von 10 Prozent spricht. Und das Land hat immer noch 16 Milliarden Dollar Schulden bei ausländischen Investoren, Zinsen inbegriffen. Doch die Arbeitslosigkeit ist auf 7 Prozent gesunken, das Wachstum hat sich verstetigt, und die Staatsschulden betragen nur noch 35 Prozent des BIP, weniger als in Deutschland also.
Die Erfahrung Argentiniens lehrt uns, dass kein Wirtschaftsmodell vollkommen und für die Ewigkeit bestimmt ist. Es braucht Mut, um damit zu experimentieren, vor allem wenn das aktuelle System nicht mehr funktioniert. Als Argentinien 2001 den beschriebenen Weg einschlug, erntete das Land von allen Seiten heftige Kritik. Es gab nicht eine Stimme, die sich zu seiner Verteidigung erhoben hätte. Dasselbe galt für Island, das sich für eine kontrollierte Insolvenz entschied. Heute zeigen Wirtschaftswissenschaftler wie der Nobelpreisträger Paul Krugman in der New York Times die Vorteile des argentinischen Modells auf.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass die PIIGS-Staaten die traditionelle ökonomische Ausrichtung aufgeben und sich in den Zukunftswerkstätten des lateinamerikanischen Kontinents nach Lösungen umsehen. Vielleicht müssen sie ihr eigenes Modell finden, das sie aus der Krise führt, ein Modell, das natürlich auch politische Konsequenzen nach sich ziehen wird. Doch genau das ist der Grund, weshalb keine der offiziellen Institutionen diesen Vorschlag bislang gemacht hat, obwohl sie anderenorts bereits funktioniert haben, obwohl sie uns, die Bürger, unseren Lebensstil, unsere Jobs retten könnten: Das einzige Gegenmittel gegen den ökonomischen Flächenbrand würde die existierende politische Klasse vernichten. Das geschah in Argentinien und in Island. So würde es auch hier ablaufen.
Und das wäre gar nicht so schlecht. Eigentlich ist es genau das, was wir brauchen.
Was wir daraus lernen können
Seit Monaten hören wir, dass die Urheber der aktuellen Krise die Spekulanten sind. Ihnen schreibt man die ganze Verantwortung für die finanziell und wirtschaftlich desolate Situation zu, in die sich der westliche Kapitalismus hineinmanövriert hat. Die Empörten in Europa, Amerika, Afrika und im Nahen Osten, all jene, die sich den Protesten angeschlossen haben, haben einen anderen Verantwortlichen im Visier: die herrschende politische Klasse und ihre Eliten. Ihr Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr.
Paradoxerweise erhebt sich die Stimme der Börsen – dem Produkt der Deregulierung in den neunziger Jahren – im Gleichklang mit der der Protestierenden im globalen Dorf. Die Börsen reagieren auf die Erklärungen und Verzweiflungstaten der Politik nur mit Ablehnung. Im Sommer 2011, der in die Geschichte als jener Sommer eingehen wird, in dem italienische Politiker zum ersten Mal nicht in die Ferien fuhren, schrien die Märkte und die Demonstranten den Euro-Rettungspaketen gleichermaßen ihr Nein entgegen. Sie straften die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank ebenso ab wie die italienischen, spanischen und griechischen Sparpakete, die Tobin Tax auf Finanztransaktionen usw.
Anfang November 2011 hielt man einen G20-Gipfel in Cannes ab – ein Fiasko ersten Ranges. Der weltbekannte Analyst Nouriel Roubini meinte damals auf Twitter, der Gipfel sei ein
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