Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
manipulieren. Dieses Mal wurde die grundsätzlich gewaltfreie Haltung der ägyptischen Protestbewegung von Polizei und Heer auf eine harte Probe gestellt. Im Juni 2012 protestierten viele Ägypter erneut, weil die Urteile bzw. Freisprüche im Prozess gegen Mubarak und weitere ehemalige Protagonisten des Unterdrückungsapparats als viel zu milde empfunden wurden. Auch in Syrien und im Jemen gab es heftige Proteste gegen das herrschende Regime. Beide Länder sind Zeitbomben, die früher oder später hochgehen werden.
Die Bereitschaft zur Revolution lässt die Märkte nicht gerade ruhiger werden. Der Flächenbrand der Auflehnung versetzt Menschen wie Börsen gleichermaßen in Unruhe, ein Zeichen, dass die Krise nicht nur ein ökonomisches oder politisches Problem ist, sondern vielmehr ein systemimmanentes. Daher gelingt es den Regierungen in aller Welt auch nicht, ihn einzudämmen. Im November räumte die Polizei das Zeltlager im Zuccotti-Park. Präsident Obama lobte die Entscheidung der Italiener, ihr Vertrauen nicht weiter in die Regierung Berlusconi zu setzen, sondern in die Fähigkeiten eines Teams aus katholischen Technokraten der politischen Mitte. Die europäischen Regierungschefs taten es ihm gleich und lobten die Griechen dafür, dass Lucas Papademos, einstiger Funktionär der Europäischen Zentralbank, endlich George Papandreou abgelöst hatte. Er blieb bis zum 16. Mai 2012 Premierminister und Chef der griechischen Übergangsregierung. Irgendwie hoffte man wohl, den Ausnahmezustand ausrufen zu können. Man hoffte, es möge genügen, das Lager der Demonstranten zu räumen, um die Ausbreitung des Protestfunkens einzudämmen. Hoffte, dass ein Regimewechsel ausreicht, um einem Land neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Dass es Mario Monti, der maßgeblich am Euro-Stabilitätspakt mitgewirkt hat und früher Berater der Investmentfirma Goldman Sachs war, wie durch Zauberhand gelingen möge, den Märkten das grassierende Misstrauen auszutreiben, das die hohen Staatsschulden in manchen Ländern der Euro-Zone ausgelöst haben. Aber Schlagstöcke und ein paar technokratische Betonschädel genügen wohl doch nicht, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen und den Zinssatz zu senken, den die verschuldeten Staaten ihren Gläubigern bieten müssen, damit der Geldhahn weiter tröpfelt.
Doch nicht nur ungeeignetes Personal macht die Eindämmung unmöglich, auch die diesseits und jenseits des Atlantiks angewandten Strategien dazu sind widersinnig. Die Amerikaner bekämpfen die Rezession mit einer ordentlichen Portion quantitative easing , das heißt: Sie drucken Geld. Eine Politik, die die Deutschen in den dreißiger Jahren angewandt haben, um die astronomischen Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg leisten zu können. Jeder weiß, wie die Geschichte seinerzeit ausging: Hyperinflation, Aufstieg der Nazis und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Die EU hingegen verteidigt den Wert des Euro mit gezücktem Säbel und vergisst dabei, dass diese Politik die Länder am Mittelmeer nur noch ärmer macht und sie in einen unkontrollierbaren Bankrott treibt. Vor weniger als einem Jahrhundert legten die Amerikaner dieselbe Verbohrtheit an den Tag, als sie nach dem Schock von 1929 an der Goldparität des Dollars festhielten und dadurch Millionen Amerikaner in die Armut stürzten. Auch das Ende dieser Geschichte ist bekannt: Zusammenbruch der Banken, massiv ansteigende Arbeitslosigkeit und die Weltwirtschaftskrise.
Wenn man sieht, wie auf beiden Seiten des Atlantiks die politischen Führer nach einem Drehbuch agieren, das eine Neuauflage wohlbekannter historischer Szenarien scheint, fragt man sich unwillkürlich, ob wir aus der Geschichte nichts gelernt haben. Denn augenscheinlich hat man aus den Lehren der Vergangenheit die falschen Schlüsse gezogen. Beide Tragödien sind in unserem Unbewussten offensichtlich tief eingraviert, so tief, dass dies rationalen Entscheidungen im Weg steht. Um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, begehen die Amerikaner die Fehler der Deutschen und die Europäer die der Amerikaner.
Deutschland kämpft immer noch mit dem Gespenst der Weimarer Republik. Aus diesem Grund verhindert es, dass die Europäische Zentralbank mehr Geld ausgibt und als Gläubiger letzter Instanz auftritt. Das ist, als würde man einen Sprinter auf einen Hundertmeterlauf schicken und ihm vorher ins Bein schießen. Dass Europa nur eine gemeinsame Währung braucht, um seine jahrhundertelang mit Blut und Kanonen
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