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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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werden, gequält, erniedrigt. Egal was, nur daß ich mit mir hätte abrechnen können. Aber es gab niemanden, der mich bestrafte. Sie konnten mir nicht einmal kündigen, offiziell war ich ja nüchtern gewesen. Statt dessen bekam ich eine öffentliche Auszeichnung von der Polizeipräsidentin, weil ich in Ausübung meines Dienstes so schwer verletzt worden war. Also habe ich mich selbst bestraft. Ich erlegte mir die härteste Strafe auf, andie ich denken konnte: Ich entschloß mich, weiterzuleben und nie wieder einen Tropfen zu trinken.«
    In der Bar war es voller geworden. Birgitta signalisierte, daß sie gleich zur Verfügung stünde.
    »Und dann?«
    »Ich bin wieder auf die Beine gekommen, habe wieder angefangen zu arbeiten. Länger und härter als alle anderen. Habe trainiert. Lange Spaziergänge gemacht. Bücher gelesen. Habe ein bißchen Rechtswissenschaften studiert. Den Kontakt mit üblen Freunden abgebrochen. Mit den guten übrigens auch. Denen, die noch übriggeblieben waren, nachdem der Alkohol die Übermacht gewonnen hatte. Ich weiß eigentlich nicht warum, es war wie ein Großreinemachen. Mein altes Leben mußte abgewickelt werden, Gutes wie Schlechtes. Ich habe mich hingesetzt und all jene angerufen, mit denen ich glaubte, in meinem alten Leben Kontakt gehabt zu haben, und gesagt: ›Hallo, wir können uns nicht mehr treffen. Es war schön, dich kennengelernt zu haben.‹ Die meisten haben das akzeptiert. Ein paar waren wohl auch froh darüber. Einige behaupteten, ich würde mich einigeln. Nun, es kann sein, daß sie recht hatten. In den letzten drei Jahren war ich mehr mit meiner Schwester zusammen als mit irgendeinem anderen Menschen.«
    »Und die Frauen in deinem Leben?«
    Harry schaute am Tresen entlang. Ein paar der Gäste begannen unruhig zu werden.
    »Das ist eine andere und mindestens genauso lange Geschichte. Und alt ist sie auch. Seit dem Unglück gab es nichts, über das es wert wäre zu sprechen. Ich bin wohl so ein lonely wolf geworden, der sich mit seinen eigenen Sachen beschäftigt. Wer weiß, vielleicht hatte ich ja ganz einfach mehr Charme, wenn ich betrunken war?« Harry schüttete sich noch etwas Milch in den Kaffee und schien sich über diesen Gedanken zu amüsieren.
    »Warum haben sie dich hierhergeschickt?«
    Harry zuckte mit den Schultern.
    »Das ist wohl nicht so wahnsinnig wichtig.« Er nickte zu der anderen Seite der Bar hinüber. »Jedenfalls nicht so wichtig wie für die Jungs da drüben der nächste Drink.«
     
    Birgitta verschwand, und Harry rührte in seinem Kaffee. Dabei erregte das Geräusch des Fernsehapparates seine Aufmerksamkeit, der über den Flaschenregalen hinter der Bar hing. Es lief die Nachrichtensendung, und nach einer Weile begriff Harry, daß von einer Gruppe Aborigines die Rede war, die eine bestimmte Region des Landes beanspruchte.
    ». . . in bezug auf die neue Native Title-Gesetzgebung«, sagte der Nachrichtensprecher.
    »Damit die Gerechtigkeit siegt . . .«, hörte er eine Stimme hinter sich.
    Harry drehte sich um. Zuerst erkannte er die langbeinige, braungepuderte Frau mit den groben Gesichtszügen und der hellen Perücke, die sich hinter ihm erhob, nicht. Doch dann fiel sein Blick auf die dicke Nase und den Zwischenraum zwischen den Schneidezähnen.
    »The Clown«, sagte er. »Otto . . .«
    »Otto Rechtnagel, in voller Größe, höchstpersönlich, handsome. Das ist der Nachteil an diesen hohen Absätzen. Ich habe es ja eigentlich lieber, wenn meine Männer größer sind als ich. May I?« Er setzte sich neben Harry auf den Barhocker.
    »Was trinkst du?« fragte Harry und versuchte die Aufmerksamkeit einer geschäftigen Birgitta zu erlangen.
    »Immer mit der Ruhe, sie weiß es«, sagte Otto.
    Harry bot ihm eine Zigarette an, die er ohne ein Wort des Dankes nahm und in ein rosa Mundstück steckte. Dann gab er ihm Feuer, und Otto schaute ihn an, während er mit hohlen Wangen und vielsagendem Blick den Rauch einsog. Das kurze Kleid klammerte sich an die schlanken Schenkel und die glitzernden Strümpfe. Harry mußte sich selbst eingestehen, daß die Verkleidung ein kleines Meisterwerk darstellte. Otto sahin seinem Kostüm weiblicher aus als die meisten Frauen, die er kannte. Harry wich seinem Blick aus und zeigte auf den Fernseher.
    »Was meinst du mit ›damit die Gerechtigkeit siegt‹?«
    »Hast du nichts von Terra Nullius gehört? Eddy Mabo?«
    Harry schüttelte zweimal den Kopf. Otto formte seine Lippen wie zu einer Oralsexnummer, und heraus kamen zwei

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