Der Fledermausmann
Nervenimpulse der Riechzellen in bewußte Sinneseindrücke umsetzen kann. Aber Harry dachte nicht so sehr an das Warum, er spürte bloß, daß allerlei merkwürdige Dinge in seinem Kopf und seinem Körper abliefen, wenn er ihren Geruch wahrnahm. Daß zum Beispiel seine Augenlider ein wenig sanken, die Mundwinkel sich zu einem breiten Grinsen nach oben zogen und seine Laune merklich besser wurde.
»Entspann dich«, sagte er, »weißt du nicht, daß ›Schatz‹ zu den ungefährlichen Kosenamen gehört?«
»Ich wußte nicht einmal, daß es ungefährliche Kosenamen gibt.«
»Aber klar. Denk doch nur an ›Liebling‹, ›Engel‹ oder ›Kätzchen‹.«
»Und was, bitte, sind dann die gefährlichen?«
»Tja, ›Knuddelpuddel‹ ist ganz gefährlich«, sagte Harry. »He? Was ist das denn?«
»Knuddelpuddel, Schmusidusi, Babbelchen. So Teddybärnamen, weißt du. Das Wichtige daran ist, daß das keine abgegriffenen, unpersönlichen Namen sind, sondern ganz private, intime Worte. Oft werden die dann auch noch durch die Nase gesprochen, so daß sie diesen nasalen Klang kriegen, wie wenn man mit Kindern spricht. Dann hat man wirklich einen Grund, einen klaustrophobischen Anfall zu bekommen.«
»Hast du noch mehr Beispiele?«
»Wie war das mit dem Kaffee?«
Birgitta schlug mit dem Handtuch nach ihm. Dann goß sie Kaffee in eine große Tasse. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht,und Harry bekam Lust, sich über den Tresen zu lehnen und ihre Haare zu berühren.
»Jetzt bin ich dann wieder an der Reihe. Ich will den Rest der Geschichte hören«, sagte sie und setzte sich hin. Sie legte ihre Hand auf die seine. Harry trank einen Schluck Kaffee und schaute sich um. Dann holte er tief Luft.
»Er hieß Stiansen, mein Kollege. Sein Vorname war Ronny. Der Name eines Draufgängers. Aber eigentlich war er keiner. Er war ein lieber, hilfsbereiter Junge, der seinen Beruf als Polizist sehr gerne ausübte. Meistens jedenfalls. Als die Beerdigung stattfand, wurde ich noch immer künstlich beatmet. Der Chef unserer Dienststelle besuchte mich später im Krankenhaus. Er richtete mir auch die Grüße der Polizeipräsidentin aus, und eigentlich hätte ich da schon Lunte riechen müssen. Aber ich war nüchtern und meine Laune alles andere als gut. Die Schwester hatte herausbekommen, daß ich Alkohol ins Krankenhaus hatte schmuggeln lassen, und meinen Zimmernachbarn in ein anderes Zimmer verlegt. Ich hatte zwei Tage nichts getrunken. ›Ich weiß, woran Sie denken‹, hatte mein Chef gesagt, ›aber vergessen Sie es, Sie haben einen Job zu erledigen.‹ Er glaubte damals, ich dächte an Selbstmord. Er irrte sich. Ich dachte daran, wie ich etwas zu trinken auftreiben konnte.
Mein Chef ist ein Mensch, der nicht lange um den heißen Brei herumredet. ›Stiansen ist tot, Sie können nichts mehr für ihn tun‹, hatte er gesagt. ›Die einzigen, denen Sie helfen können, sind Sie selbst und Ihre Familie. Und uns. Haben Sie die Zeitung gelesen?‹ Ich antwortete ihm, daß ich überhaupt nichts gelesen, sondern mein Vater mir ein paar Bücher vorgelesen hätte und daß wir, auf meinen Wunsch hin, kein Wort über den Unfall verloren hätten. Der Chef sagte, das sei schon in Ordnung. Daß es die Sache leichter machte, wenn ich mit niemandem darüber gesprochen hätte. ›Sie haben nämlich nicht am Steuer gesessen‹, sagte er. ›Oder, anders ausgedrückt, am Steuer hat kein besoffener Bulle aus Oslo gesessen.‹Und dann fragte er mich, ob ich das begriffen hätte. Daß Stiansen gefahren sei. Derjenige von uns, dessen Blutprobe bewies, daß er stocknüchtern war. Er zeigte mir die wochenalten Zeitungen, und ich konnte mit meinem benebelten Blick erkennen, daß dort tatsächlich stand, der Fahrer des Wagens sei bei dem Unfall unmittelbar getötet worden, während sein Beifahrer mit lebensgefährlichen Verletzungen davongekommen war. ›Aber ich bin gefahren,‹ sagte ich. ›Das bezweifle ich. Sie wurden auf dem Rücksitz gefunden‹, sagte der Chef. ›Denken Sie daran, daß Sie eine schwere Gehirnerschütterung hatten. Ich tippe, Sie können sich überhaupt nicht mehr an die Fahrt erinnern.‹ Natürlich begriff ich, worauf er hinaus wollte. Die Presse interessierte sich nur für die Blutprobe des Fahrers, und solange die in Ordnung war, kümmerte sich niemand um mich. Die Sache war so schon schlimm genug für die Polizei.«
Birgitta hatte eine tiefe Furche zwischen den Augen. Sie wirkte aufgewühlt.
»Aber wie konnte man Stiansens Eltern
Weitere Kostenlose Bücher