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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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erzählen, daß er das Auto gefahren hatte? Diese Menschen müssen ja völlig gefühllos sein! Wie kann . . .?«
    »Ich habe dir gesagt, daß die Loyalität innerhalb der Polizei groß ist. Manchmal wird mehr Rücksicht auf die Polizei als auf die Betroffenen genommen. Aber es ist gut möglich, daß Stiansens Familie in diesem Fall auch eine Version serviert bekommen hat, mit der sie leichter leben konnte. Laut meinem Chef hatte Stiansen das Risiko bei der Verfolgung eines mutmaßlichen Drogendealers und Mörders bewußt auf sich genommen, und ein Unfall im Dienst kann ja jedem passieren. Der Junge in dem anderen Auto war schließlich ein Fahranfänger, und es war ja nicht auszuschließen, daß ein anderer Fahrer die Situation anders eingeschätzt hätte und nicht vor uns auf die Straße gefahren wäre. Schließlich fuhren wir ja mit Blaulicht und Martinshorn.«
    »Ja, und mit 110.«
    »Wo man normalerweise fünfzig fährt, ja, ja, den Jungen trifft wohl keine Schuld. Es geht ganz einfach nur um die Argumentation. Warum mußte seine Familie wissen, daß ihr Sohn der Beifahrer war? Würde es den Eltern besser gehen, wenn man ihrem Sohn nachsagen würde, er habe völlig passiv einen betrunkenen Kollegen fahren lassen? Der Chef ist die Argumente immer wieder durchgegangen. Mein Kopf schmerzte so, daß ich glaubte, er würde zerspringen. Schließlich hing ich halb aus dem Bett und mußte kotzen, während die Schwester angestürmt kam. Am nächsten Tag besuchte mich Stiansens Familie. Die Eltern und eine jüngere Schwester. Sie brachten mir Blumen und hofften, daß ich bald wieder gesund werden würde. Der Vater sagte, er müsse mit sich selbst hart ins Gericht gehen, weil er nie konsequent genug gegen die Raserei seines Sohnes vorgegangen sei. Ich weinte wie ein Kind. Jede Sekunde war wie eine langsame Hinrichtung. Sie blieben über eine Stunde.«
    »Mein Gott, was hast du ihnen gesagt?«
    »Nichts. Sie haben geredet. Über Ronny. Welche Pläne er gehabt hatte, was er tun und lassen wollte. Über seine Freundin, die in den USA studierte. Daß er über mich gesprochen hätte. Daß ich ein tüchtiger Polizist und ein guter Freund sei. Einer, auf den er sich verlassen könnte.«
    »Was geschah weiter?«
    »Ich blieb zwei Monate im Krankenhaus. Der Chef hat mich noch ein paarmal besucht. Einmal wiederholte er, was er beim ersten Mal gesagt hatte. ›Ich weiß, woran Sie denken. Vergessen Sie es.‹ Und da hatte er recht. Ich wollte nur noch sterben. Es ist gut möglich, daß die Tatsache, die Wahrheit im dunkeln zu halten, etwas mit Altruismus zu tun hatte – zu lügen war dabei nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, daß ich meine eigene Haut rettete. Das hört sich vielleicht merkwürdig an, aber ich habe viel darüber nachgedacht – laß mich versuchen, es dir zu erklären.
    In den fünfziger Jahren gab es in den USA einen jungenUniversitätsdozenten namens Charles Van Doren, der im ganzen Land bekannt war, weil er immer so souverän in einer Quizsendung auftrat, die landesweit ausgestrahlt wurde. Woche für Woche besiegte er seine Herausforderer. Die Fragen waren teilweise unglaublich schwierig, und alle waren stumm vor Bewunderung für diesen Mann, der anscheinend auf alles die richtige Antwort wußte. Er bekam begeisterte Zuschriften mit Heiratsangeboten, hatte seinen eigenen Fanclub, und seine Vorlesungen an der Universität waren natürlich überfüllt. Schließlich erzählte er bei einem öffentlichen Auftritt, daß die Programmproduzenten ihm alle Antworten vorher schon verraten hätten.
    Auf die Frage, warum er die Schwindelei hatte auffliegen lassen, erzählte er von einem Onkel, der gegenüber seiner Frau, Van Dorens Tante, zugegeben hatte, untreu gewesen zu sein. Das hatte zu einiger Unruhe in der Familie geführt, und schließlich hatte Van Doren seinen Onkel gefragt, warum er dieses Geheimnis gelüftet habe. Der Seitensprung lag nämlich viele Jahre zurück, und er hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu der Frau gehabt. Der Onkel hatte ihm geantwortet, daß seine Untreue nicht das Schlimmste für ihn gewesen sei. Was er nicht ertragen habe können, sei, daß dieser Treuebruch unbemerkt geblieben war und er ungestraft davongekommen sei. Und genau so war es auch bei Charles Van Doren.
    Ich glaube, die Menschen haben ein gewisses Bedürfnis nach Strafe, wenn sie ihre eigenen Handlungen nicht mehr länger akzeptieren können. Ich habe mich auf jeden Fall danach gesehnt, bestraft zu werden, gepeitscht zu

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