Der fliegende Brasilianer - Roman
Über dieses Buch
Im Alter von 18 Jahren kommt Alberto Santos Dumont (1873–1932), Sohn reicher brasilianischer Plantagenbesitzer, nach Paris, um sich auf dem Gebiet der Technik und Naturwissenschaften weiterzubilden, doch: Er erliegt dem Traum vom Fliegen, der Faszination der Gefahr und seiner Lust auf Abenteuer. Schon bald ist er einer der bedeutendsten Flugpioniere seiner Zeit. Im Sturm-Flug erobert er die Herzen der Pariserinnen. Aber da seine wahre Liebe der Fliegerei gilt, lösen sich seine Beziehungen zu Frauen früher oder später in Luft auf.
In der szenischen Folge abgeschlossener Prosaminiaturen erzählt Márcio Souza von den Höhenflügen und Bruchlandungen Santos Dumonts. Er manövriert den Leser mit luftiger Leichtigkeit durch Ballonschuppen und Hangars, Cafés und Salons der Belle Époque und entlarvt dabei – ganz en passant und doch schonungslos – die Arroganz der »zivilisierten« Europäer und ihren kolonialistischen Blick auf Lateinamerika ebenso wie die politischen Verhältnisse im Brasilien der dreißiger Jahre.
»Nur Fliegen ist schöner …« (Bayerischer Rundfunk)
Der Autor
Márcio Souza wurde 1946 in Manaus (Amazonien) geboren, wo er auch heute wieder lebt. Er studierte Sozialwissenschaften in São Paulo und leitete die Nationale Buchabteilung der Biblioteca Nacional in Rio de Janeiro. Neben seiner literarischen Tätigkeit (Romane, Essays, Drehbücher, Filmkritiken) war er auch als Journalist und Dramaturg tätig. In deutscher Übersetzung liegen vor: »Galvez, Kaiser von Amazonien« und »Mad Maria oder das Klavier im Fluss«.
Die Übersetzerin
Karin von Schweder-Schreiner, geboren 1943 in Posen, hat in Germersheim/Mainz und Lissabon studiert und ist seit vielen Jahren als literarische Übersetzerin tätig. Sie übertrug u. a. Werke von Jorge Amado, Chico Buarque, Mia Couto, Rubem Fonseca, Lídia Jorge, José Saramago und Moacyr Scliar ins Deutsche und erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 1994 den Prêmio Internacional de Tradução des brasilianischen Kulturministeriums. Nach langen Aufenthalten in Portugal und Brasilien lebt sie seit 1984 in Hamburg.
Alberto Santos Dumont im Luftschiff Nr. 9 »Baladeuse«, 1903
»Nobody will fly
for a thousand years!«
Wilbur Wright
Dieses Buch ist ursprünglich als Drehbuch für einen Film entstanden. Die endgültige, offizielle und unanfechtbare Biografie von Santos Dumont zu schreiben, war nie mein Anspruch. Eigentlich hatte ich keine große Sympathie für den Protagonisten. Als er vom militärischen Kult vereinnahmt wurde, verwandelte Santos Dumont sich in eine fade Gestalt, das Symbol eines mittelmäßigen, gekränkten, typisch brasilianischen Patriotismus, eine Art schmächtiger, galliger Halbgott, der nur deshalb verkannt werde, weil er in diesem Land des Karnevals und der Bonhomie geboren war. Kurzum, eine jener typischen Geschichten, die man uns ständig eintrichtert, um uns weiszumachen, wir seien zum Siegen geboren und nicht zum Verlieren.
Im Grunde hat dieser verzerrte Patriotismus Santos Dumont wesentlich Schlimmeres angetan als das, was die Tauben ganz ungeniert auf den Statuen berühmter Leute in öffentlichen Anlagen tun.
Zum Glück irren die Tauben sich nicht.
Im Übrigen trage ich die alleinige Verantwortung.
Teil I
Das Wunder der abendländischen Welt
oder Ein Großgrundbesitzer der Luft in Gallien
1893 bis 1902
Mit Szenen von 1932
»Und er stieg empor, in die Lüfte hinein
im verblassenden Blau des Spätnachmittagshimmels
auf der Suche nach einem klangvollen Reim …«
Machado de Assis
Alte Republik Er zündet die Papiere an, die er aufbewahrt hat. Rui Barbosa, der die Dokumente der Sklaverei in die Flammen geworfen hatte, hätte neidisch werden können. Man schreibt 1914. Alberto ist schon sehr krank. Die Franzosen, in Panik, weil die boches ihnen auf den Fersen sind, haben den Brasilianer für einen deutschen Spion gehalten. Chauvinismus ist immer kurzsichtig. Und er beschließt, der Zukunft jene Krumen vorzuenthalten, aus denen man die Toten notdürftig rekonstruiert. Briefe, Tagebücher, Entwürfe, alles verbrennt. Übrig geblieben ist die brasilianische Verdammung zum Unpräzisen. Alberto war damit zu einem weiteren Kapitel der nationalen Desinformation geworden.
Der Cinematograph Lumière Übrig blieb der schmächtige Stutzer von den Fotografien und der schillernde Typ aus den neunmalklugen Biografien. Ein Exzentriker unter der Lupe der lombrosianischen Psychiatrie. Kurios und naiv. Noch eine
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