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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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einfach daran, daß es in ihrem Beruf nur wenige Menschen gibt, mit denen man sich unterhalten kann, und wenn man wie Jane von Natur aus eigentlich ein Plappermäulchen ist, versucht man eben, aus der Not eine Tugend zu machen. Es ist wichtig, auf diesen Punkt schon jetzt hinzuweisen, da Jane in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt, und Sie sollten mit ihr nicht allzuhart ins Gericht gehen, nur weil sie zu Monologen neigt – schließlich war Hamlet diesbezüglich auch nicht viel besser. Also geben Sie dem Mädchen eine Chance.
    Äußerst merkwürdig, dachte sie und blickte auf das Hauptbuch, wobei sie aufgrund der schwer zu entziffernden Handschrift, die schlimmer als ihre eigene war, alles nur verschwommen sah. Zweifellos hatte da jemand gepfuscht, aber wann und wie?
    Eigentlich gehörte es nicht zu ihren Aufgaben, das Hauptbuch unter die Lupe zu nehmen, in dem die Girokonten verzeichnet waren; aber eine ärgerliche Kleinigkeit war in einer recht gewöhnlichen Zinsberechnung nicht berücksichtigt worden. Jane hatte ausnahmsweise einmal für die Lösung des Problems ein solch abstraktes Interesse entwickelt, daß sie sich mittlerweile seit sechs Stunden damit beschäftigte, wobei sie sogar auf ihre Mittagspause verzichtet hatte. Obwohl es ihr selbst noch gar nicht bewußt war, schwang sie sich gerade zu einer buchhalterischen Glanzleistung sondergleichen auf, die ihr von ihren Vorgesetzten niemals zugetraut worden wäre.
    Der Grund, weshalb sie sich sosehr auf dieses Problem gestürzt hatte, war ein Name. Dabei handelte es sich um keinen besonders gewöhnlichen Namen, muß man wissen, und sie war ihm schon einmal begegnet. Der Name lautete J. Vanderdecker.
    J. Vanderdecker hatte bei der National Lombard Bank ein Girokonto. Der Kontostand betrug £ 6,42. Die Sache hatte aber einen Haken, denn diese Summe hatte sich bereits vor weit mehr als hundert Jahren auf £ 6,42 belaufen.
    Schade für Mister Vanderdecker, daß es sich nicht um ein Sparkonto handelte, sagte sich Jane. Als sie die Bankangestellten um die Herausgabe praktisch sämtlicher Hauptbücher bis an die Anfänge der menschlichen Zeitrechnung gebeten hatte, war sie nur von allen Seiten blöde angeglotzt worden, als hätte sie nun wirklich ein Rad ab. Nach anfänglich lautstarken Protesten versicherte man ihr schließlich, daß die Hauptbücher für den Zeitraum vor 1970 schon vor Jahren verbrannt worden seien. Des weiteren erklärte man ihr, daß die Bücher, falls man sie nicht verbrannt habe (was aber garantiert passiert sei), verlorengegangen seien. Falls sie nicht verlorengegangen seien, bestehe praktisch keine Hoffnung mehr, an sie heranzukommen. Dann befänden sie sich nämlich im Zentrallager der Bank in Newcastle-under-Lyme. Wenn sie sich auch dort nicht befänden, müßten sie im Keller lagern. Im Keller aber gebe es Spinnen. Riesige Spinnen. Vor fünf Jahren sei ein tolldreister Lehrling in der Keller gegangen, und man habe später nur noch seine Schuhe gefunden.
    Bis zur Umstellung auf Computer waren sämtliche Hauptbücher von Hand geschrieben worden, und einige der Handschriften waren nur schwer zu entziffern. Janes Sehvermögen war nie sehr gut gewesen, und das ständige Starren auf die hingekritzelten Buchstaben und Zahlen verursachte ihr allmählich Kopfschmerzen. Dabei handelte es sich nicht um das uns allen vertraute Pochen der Schläfen, sondern um einen stechenden Schmerz mitten auf der Stirn. Trotzdem behielt sie einen klaren Kopf.
    Die logische Erklärung für das Rätsel – es gibt immer eine logische Erklärung – war, daß J. Vanderdecker 1879 ein Konto eröffnet hatte, seine normale Zeitspanne gelebt haben und irgendwann gestorben sein mußte, wobei er die Summe von sechs Pfund, acht Shilling und vier Pence hinterlassen hatte. In dem großen Leid seines Dahinscheidens (Jane hatte in Novellen aus der viktorianischen Zeit einige Schilderungen von Totenbettszenen gelesen und wußte, daß die Menschen zu jener Zeit aus dem Tod und seinen Folgen immer ein großes Trara machten) war sein Konto übersehen worden. Trägheit, das Grundübel eines jeden Bankers, hatte es ermöglicht, daß das Konto von Jahr zu Jahr weitergeführt worden war und nun wiederauftauchen konnte, zwar ohne eine Bewegung, aber perfekt konserviert wie eine Moorleiche aus der Eisenzeit, und das im besten Zustand.
    Das einzige Problem war der Name J. Vanderdecker im Gästebuch des Union Hotels. Verdammt! Das war kein gewöhnlicher Name, und falls sich dieser

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