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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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UNVERGESSEN DER Blick in das feine Geäst, die strahlende Krone der … Buche wahrscheinlich … Äderchen, die Linien des Lebens … oder Ahorn? Wie die Blätter leuchteten, manche golden, die meisten grün. Was ist mir in dem Moment alles durch den Kopf gewischt? Fünf Tage ist das nun her – oder vier?
    »Mir scheint, Sie könnten sich aufsetzen, wollen Sie es versuchen? Wenn Sie erlauben, helfe ich Ihnen.«
    Ein junger Mann, graugrünes Lodenjackett, hielt meine Hand … zählte offenbar die Pulsschläge. Mit der anderen legte er einen Hut, meinen Hut mir in den Schoß. Vor ein paar Jahren lag ich schon einmal so … vor einer Gartentür. In Altaussee, vor der Villa der Baronin … Lhotsky.
    »Ist Ihnen schwindlig?«
    Der Stock, den der junge Herr hielt, war meiner. Was war geschehen?
    »Atmen«, sagte er, »ruhig atmen.«
    Ein älteres Paar in Trachtenkleidung, das neben dem Mann gestanden war, entfernte sich jetzt.
    Gesehen hatte er sein Gesicht schon einmal. War es am Vortag gewesen? Wenn er sich richtig erinnerte, in Begleitung … einer älteren Dame, vielleicht seiner Mutter, mit einem weit ausladenden Hut. Aus einiger Entfernung war das Motorengeräusch eines Postautobusses zu hören, der sich hochtourig die Bergstraße heraufquälte.
    »Ihr Puls … Gestatten Sie.«
    Der junge Mann senkte seine Stimme.
    »Herr von Hofmannsthal, nicht? Mein Name ist Krakauer, ich bin Arzt. Also Ihr Puls scheint sich normalisiert zu haben. Ich sah, wie Sie nach dem Zauntritt dort vorne umgekippt sind. Wir haben Sie zu der Bank hierher gebracht. Die Herrschaften haben geholfen … In meinem Hotelzimmer hätte ich ein Blutdruck-Meßgerät … Es ist ja kein Wunder! Man konnte auf dem Höhenweg den Föhnsturz förmlich beobachten. In der Früh war das nicht zu erkennen. Bleiben Sie noch einen Moment sitzen. Klopfen Sie, wenn ich helfen kann, im Hotel
Post
einfach an meine Tür, Zimmer zweiundzwanzig.
    Meinen Sie, Sie schaffen es allein bis in den Ort? Es ist ja nicht mehr weit. Lassen Sie sich Zeit, bleiben Sie noch eine Weile sitzen, Herr von Hofmannsthal. Die Baronin ist vorausgegangen, wir wollen uns umziehen und Tee trinken.
    Sie verehrt Sie übrigens. Sie beide haben auch eine gemeinsame Bekannte – die Fürstin Marie von Thurn und Taxis.«
    Warum war er in diesem Moment beinah zusammengezuckt? War es die Verbindung der Fürstin mit Rilke, von der jedermann wußte?
    »Gestern haben wir Sie beim Magenbrünnl gesehen, die Baronin hat Sie sogleich erkannt.«
    War das am Montag gewesen? Abends jedenfalls hatte er mit Appetit gegessen.

EIN AUTOMOBIL , der Motor auf hoher Drehzahl laufend, der Auspuff qualmend, näherte sich im Schrittempo dem Vorplatz des Hotels. H. hielt auf der Eingangstreppe einen Moment inne, schaute auf den mächtigen Wagen, den Chauffeur mit der Kapitänsmütze; das Verdeck des Wagens war zurückgeschoben.
    Er wich aus, machte Platz für zwei Herrschaften in langen Mänteln, Lederhauben auf dem Kopf, welche das Hotel verließen. Zum Carl hatte er unlängst gesagt: »In dieser Autofahrermontur, schon gar mit aufgesetzten Brillen, würde ich ja meine besten Freunde nicht erkennen.«
    Als er endlich das Foyer des Hotels betreten wollte, mußte er noch einmal Platz machen, für den Lohndiener Leo, der zwei Koffer trug, zwei weitere, kleinere, unter die Arme geklemmt hatte und »Guten Morgen, Herr von Hof …« rief, ja beinahe krähte. Rechtzeitig erinnerte sich der Gute, worum H. ihn vor anderthalb Stunden zum zweiten Mal gebeten hatte, als sie einander draußen auf der durch den Ort führenden Straße begegnet waren. Mit einer Sichel hatte der Leo Unkraut an der Mauer des Wintergartens entfernt und hatte laut … – der konnte halt nicht anders; und vielleicht hatte er nur vergessen, daß sie sich heute schon einmal begegnet waren. Aber was für ein Charakterkopf! Undenkbar, daß dieser Mensch sich verstellen könnte. Bloß daß sein Falsett nicht zu diesem klobigen Schädel paßte. H. erinnerte sich, wie freundlich sein Vater sich Bedienten gegenüber stets verhalten hatte, und wie er, der Sohn, dies hier in den Bergen übertrieben gefunden und dann später doch übernommen hatte. Er hatte bemerkt, wie auf der anderen Seite der Straße ein kleines Mädchen in Lumpenkleidung, einen Finger in der Nase, sie beide beobachtete; offensichtlich das Kind irgendeiner Zimmerfrau oder Köchin. Es stand vor dem Eingang des neuen Hotels, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte.
    Während er auf die Rezeption

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