Befehl aus dem Jenseits (German Edition)
Befehl aus dem Jenseits
Der Brief aus dem Jenseits erreichte ihn einen Tag vor seinem dreißigsten Geburtstag. Er kam zusammen mit einem Bündel Prospekten, Glückwunsch-Telegrammen und Mahnungen.
Dr. Roby Dumont nahm den ganzen Stapel aus dem Auffangkorb der Rohrpostanlage und ließ sich aufseufzend in einen Kontursessel sinken.
Kurz nach dem Frühstück hatte er eine neue Flasche Whisky angebrochen. Die Eiswürfel im Glas waren bis auf zwei winzige Stückchen zusammengeschmolzen. Er wußte, daß ihm der Whisky nicht weiterhalf.
Achtlos warf er einen bunten Prospekt zur Seite. Urlaubsreisen zum Mars konnte er sich in seiner Situation nicht leisten.
Ein unangenehm vibrierendes Summen ließ ihn aufblicken. Mißmutig starrte er auf die Aluminiumlamellen vor den rauchfarben getönten Fensterscheiben. Sie sollten die ultraviolette Sonneneinstrahlung im 104. Stockwerk des Junggesellen-Wohnturms abhalten. Offensichtlich hatten die Architekten die Wucht der Luftströmungen über den Außenbezirken von London unterschätzt. Tag und Nacht vibrierten diese verdammten Lamellen – mal stärker, mal weniger heftig.
Es war zum Verrücktwerden!
Dr. Roby Dumont strich sich die wirren Haarsträhnen aus der Stirn. Mit dem rechten Daumen drückte er auf das schillernde Logo neben dem Adressenfeld eines Bankbriefes. Der Verschluß öffnete sich, und ein signalroter Plastik-Streifen glitt in seinen Schoß.
»Zehntausend Kredits!« murrte der junge Akademiker bitter. Er hatte auf diesen Brief gewartet, ängstlich und doch voller Hoffnung, daß ihm ein weiterer Aufschub gewährt würde.
Er hatte sich geirrt. Die Mahncomputer der Universitätsbank kannten keine Geduld. Er hatte sein Studium beendet, jetzt war er zur Rückzahlung aller Stipendien und Kredite verpflichtet.
Für eine lange Sekunde wurde ihm die Ironie seiner gegenwärtigen Lage bewußt. Er hatte alle Freiheiten gehabt, und doch war er nur ein Gefangener dieses gnadenlosen Systems, das sich ›Chancen für alle‹ nannte.
Er war nie ein besonders guter Schüler gewesen. Trotzdem war es ihm mit siebzehn gelungen, Offiziersanwärter der Royal Air Force zu werden. Bereits im fünften Dienstjahr wurde ihm das Kommando über eine Staffel Mach-3-Jäger übertragen. Und ein Jahr vor seiner Entlassung als Flight Lieutenant hatte er dann am friedlichsten Krieg aller Zeiten teilgenommen. Nicht ein einziger Schuß war bei diesem globalen Krieg gefallen. Und doch hatte es nie einen totaleren Sieg gegeben!
Noch nachträglich schüttelte Dr. Roby Dumont ungläubig den Kopf. Mit einem entschlossenen Ruck trank er seinen schalen Whisky aus. Mit einem staatlichen Stipendium hatte er damals sein erstes Semester in Oxford belegt. Nun war er Flight Lieutenant der Reserve und seit sechs Monaten Doktor der Naturwissenschaften. Und er war arbeitslos – wie Millionen andere junge Männer in seinem Alter!
Er wischte den roten Kontoauszug der Universitätsbank zur Seite. Unkonzentriert überflog er ein paar Glückwunschtelegramme. Sie kamen von früheren Kameraden der RAF und von Studienkollegen.
Dreißig Jahre lang war sein Leben in Ordnung gewesen, doch nun weigerte er sich, die großzügigen Angebote verschiedener Konzerne anzunehmen. Natürlich hätten sie sofort seine Ausbildungsschulden beglichen. Alles, was er dafür zu tun hatte, war, eine kleine Unterschrift unter einen Zwanzig-Jahres-Vertrag zu setzen ... Aber er wollte sein Leben nicht verkaufen. Noch nicht!
Als er aufstand, fiel ein blaues Kuvert auf den Teppichboden. Er hob es auf und ging ins Bad. Das Licht schaltete sich automatisch ein. Dr. Roby Dumont starrte in den Spiegel über dem Waschbecken.
Ein fremdes, verbissen wirkendes Gesicht sah ihn an. Da war nichts mehr von den fröhlichen Zügen früherer Jahre, nichts von der unbeschwerten Jungenhaftigkeit, die ihn überall beliebt gemacht hatte!
Er war deutlich gealtert in den letzten sechs Monaten. Er hatte lernen müssen, daß es auch für ihn nur das starre System der Chancen für alle gab. Niemand konnte sich nach dem absolut endgültigen Sieg der Konzerne im ›Großen Friedens-Krieg‹ sein Leben so einrichten, wie er es für richtig hielt.
Mit einem sarkastischen Lächeln wandte sich Dr. Dumont von seinem Spiegelbild ab. Schließlich hatte er mit seinen Mach-3-Jägern den Sieg der Konzerne über die Regierungen der Welt mit ermöglicht ...
Er fühlte den blauen Briefumschlag zwischen seinen Fingern. Der Brief trug keinen Absender. Automatisch drückte Dumont
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