Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
Vom Netzwerk:
schliefen, gekommen und hatte die schönsten in einem Korb weggetragen.
    Er fühlte sich plötzlich sehr erschöpft, wünschte sich eine Bank zum Ausruhen, aber er hatte auf dem Herweg bloß eine einzige gesehen, am Beginn der Wanderung, sie war völlig umwachsen von jungen Fichten; höchstens ein Eichkatzel oder ein Fuchs hätten sich darauf niederlassen können. Er mußte durchhalten, vermochte nicht einmal abzuschätzen, wie lange. Als er in den Wald hineingegangen war, den zuerst langsam ansteigenden Weg, hatte er über ein Wort von Novalis nachgedacht: Die meisten Töne, welche die Natur hervorbringe, seien geistlos, das Rauschen und Pfeifen des Windes jedoch dünke den musikalischen Seelen melodisch und bedeutsam. Vielleicht täuscht mich meine Erinnerung, sagte er sich, und der Satz lautet völlig anders.

DER JUNGE Hotelbedienstete, welcher angeklopft hatte, brachte ihm einen Brief ans Bett. H. versuchte sich ein wenig aufzurichten.
    »Ich geb Ihnen später etwas«, sagte er.
    Verehrter Herr Hofmannsthal
,
    meine Baronin fürchtet trotz gegenteiliger Vorhersagen eine neuerliche Wetterverschlechterung, drängt plötzlich auf Abreise. Es ist ihr ernst, deshalb nur rasch ein paar Zeilen, falls wir uns nicht mehr begegnen. Besonders über Ihren
Zurückgekehrten,
den ich jetzt zur Gänze lesen konnte, hätte ich mich so gern mit Ihnen unterhalten! Sehr beeindruckend der letzte Brief, über die Farben. Nachdem ich den ersten der Briefe gelesen hatte, fürchtete ich mich beinah, Ihnen noch einmal zu begegnen
.
    Zwar bin ich kein Deutscher, aber manches, was Ihnen an den Menschen in Deutschland mißfiel – denn Ihr Zurückgekehrter, nicht wahr, das sind doch auch Sie selbst –, schien mir, während ich diese philosophische Erzählung las, auch auf mich zutreffend … Zweimal habe ich gestern vergeblich an Ihre Tür geklopft. Abreisen jedoch wollen Sie erst übermorgen, sagte mir der Portier. Wir reisen heim, auf das Gut der Baronin bei Fratres im Waldviertel. Ich hoffe, ich kann mich im Spätherbst in Wien bei Ihnen melden, wenn Sie wieder nach Rodaun zurückgekehrt sind
.
    Sebastian Krakauer

WENN MAN krank ist, war ihm schon öfter vorgekommen, wie wenig oder gar nichts bedeuten einem dann Dichtung, Malerei, Musik. Alles schmilzt dahin, man möchte bloß den ursprünglichen Zustand des Wohlbefindens wieder erreichen. Ganz elementare Wünsche im Moment: im Wintergarten des Hotels Kaffee trinken, ein paar neue Zeitungen lesen, spazierengehen, im Autobus nach Salzburg fahren …
    Schräg gegenüber, in dem Hotel
Berghof
, auf der anderen Straßenseite, auf seiner Höhe, in der dritten Etage, hatte eine Dame, mit einer Art Turban auf dem Kopf, das Fenster geöffnet und herausgeschaut, herübergeschaut, ihn am Fenster erblickt und daraufhin ihr Fenster wieder geschlossen.
    Immer noch hoffte er, der Doktor Krakauer würde an seine Tür klopfen, habe doch noch eine Viertelstunde für ihn, bevor er mit seiner Baronin abreisen würde. Heute bis Salzburg und dann morgen nach Niederösterreich, hatte Krakauer gestern gesagt. Ein Gespräch … Auch wenn nur wenig Zeit bliebe, ihre Adressen wenigstens könnten sie austauschen, und das Gespräch über den
Zurückgekehrten
vielleicht einmal in Wien oder Rodaun fortsetzen, hatte er überlegt.
    In Kürze jedenfalls würde auch er abreisen, dem Portier hatte er es gestern mitgeteilt. Als er sich nach links aus dem Fenster lehnte, sich mit der Rechten auf dem Fensterbrett abstützte, sah er auf dem Parkplatz drei Automobile. Er glaubte, den
Steyr
der Baronin zu sehen, mit zugeklapptem Verdeck; sie waren also noch nicht abgereist, stellte er fest, waren wohl noch mit Packen beschäftigt.
    Müßte ich jemandem erklären, dachte er, warum mir ein Gespräch mit Krakauer so wichtig erscheint …
    Er sah sich vor dem Haus in Altaussee sitzen, in ein paar Tagen, und Gerty von seiner neuen Idee erzählen, auf der Grundlage der
Briefe des Zurückgekehrten
etwas Längeres zu schreiben, eine Novelle vielleicht, und die Nachkriegsjahre mit einzubeziehen. Auf diese Idee hatte Krakauer ihn gebracht, als er H. vor einigen Tagen davon berichtet hatte, wie er neunzehnhundertneunzehn aus den Vereinigten Staaten nach Österreich zurückgekehrt war. Wieder einmal schüttelte er über sich selbst den Kopf: Mein Problem, das unüberwindlich scheint, ist, daß ich immer aus allem sofort etwas machen will.

AUF DER Seite mit den Anzeigen konnte er lange den Blick nicht von den beiden Automobilen abwenden;

Weitere Kostenlose Bücher