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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Platons
Gastmahl
noch einmal gelesen zu haben. Er unterdrückte den Wunsch, unten einen Tee zu trinken; er konnte ja später eine Pause machen und …
    Jemand hatte an die Tür geklopft. Vielleicht war es die Kreszenz, die endlich das Bett machen wollte. Sie soll mir dann eine Kanne Tee bringen, dachte er und öffnete die Tür. Eine blonde junge Frau mit weißem Haarband, bauschiger weißer Bluse, großer Masche auf der Brust. Elisabeth?
    »Elisabeth Trattnig, verzeihen Sie, wenn ich Sie einfach so …«
    »Ist etwas passiert?«
    Sie wirkte bedrückt. Es sei ihr peinlich …
    Was will sie von mir, überlegte er, was ist geschehen? Sie erinnerte ihn an die junge Alma Mahler.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, »wie Sie sehen, ich kann Ihnen im Moment hier nicht einmal einen Stuhl anbieten …«
    Ob sie kurz mit ihm reden könne? Es sei wichtig, betreffe den Herrn Doktor Krakauer. Vielleicht könnte man besser im Lesezimmer, niemand befinde sich derzeit dort, sie habe nachgeschaut. Er nahm das Manuskriptbündel vom Stuhl, schob ihn in die Mitte des Zimmers, deutete darauf, setzte sich aufs Bett. Sie wirkte anziehend mit ihrem gewellten Haar, den vollen Oberarmen, er dachte, sie sieht der Christiane Vulpius ähnlich, wie Goethe sie gezeichnet hat. Sie ging zum Stuhl, blieb stehen, stützte sich mit einer Hand auf die runde Lehne.
    »Liebes Fräulein von Trattnig, sagen Sie mir, was ist geschehen?«
    Er stand wieder auf und überlegte, wohin er sein Brillenetui getan hatte. Das Etui war wohl verloren. An ihrer Oberlippe bemerkte er einen Anflug von Bartwuchs, auch das erinnerte ihn an die Alma.
    »Die Frau Baronin«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, daß wir sie einen Tag lang vermißt haben; sie ist einfach in den Wald gelaufen … Ich will Sie nicht … Sie ist gefunden worden von zwei einheimischen Burschen, ziemlich verwirrt … Der Herr Doktor macht sich schreckliche Vorwürfe … Sie nimmt ihm übel, daß er sie vernachlässigt hat in letzter Zeit. Deswegen erlaube ich mir, Sie anzusprechen.«
    »Ich habe den Herrn Doktor kaum gesehen in den letzten Tagen«, sagte er, etwas zu laut, und überlegte, wo sich sein Etui befinden könnte. »Ein einziges Mal hatten wir, wenn ich mich richtig erinnere, ein etwas längeres Gespräch … Vielleicht zweimal.«
    Jetzt sah er das Etui auf dem Fensterbrett.
    »Ich bitte Sie«, rief sie, »Sie wissen ja nicht, wie ernst die Situation ist. Der Gesundheitszustand der Frau Baronin hat sich verschlechtert … Schwere Depressionen, bis hin zu Psychosen, und dann ihr Gekränktsein, ihr erschreckender Unmut über den Herrn Doktor …«
    Von solchen Nervengeschichten, dachte er, hört man immer wieder. Dabei hatte er gelesen, diese Leiden träten, anders als vor zwanzig, dreißig Jahren, seit dem Krieg kaum noch auf …
    »Sie weigert sich heute schon den ganzen Vormittag, den Herrn Doktor zu sehen. Es besteht die Gefahr, daß sie ihn … Sie hat mir gegenüber gestern so etwas angedeutet … Es geht darum, daß sie ihm, in einigen Jahren – ich weiß darüber nichts Näheres –, eine Arztpraxis im ersten Wiener Gemeindebezirk einrichten wollte, sollten ihre Wege sich eines Tages trennen … Dies war der Vertrag zwischen den beiden, allerdings, soviel mir bekannt ist, bloß ein mündlicher. Es ist für den Herrn Doktor gewiß nicht einfach, die Baronin ist auf eine Weise von ihm abhängig … Entschuldigen Sie, bitte, es ist mir äußerst unangenehm, Sie behelligt zu haben, nur meine große Sorge … Darf ich Sie fragen, wann Sie nach Wien zurückkehren werden? Die Frau Baronin ist ja derzeit gar nicht reisefähig.«
    Ein starkes Stück, dachte er, sie wollen mich aus dem Weg haben, und dachte, mein erster Eindruck war ja gar nicht so falsch. Das fehlte mir noch, was hab ich damit zu schaffen? Zugleich wurde ihm bewußt, wie sehr er ihr gepflegtes Wienerisch, ihre wohltuende Stimme mochte. Er wünschte, sie hätte sich in einer anderen Angelegenheit an ihn gewandt, oder er hätte sie im Kurpavillon singen hören. Aber wenn sie ihn auf seine Verbindungen mit Theatern oder Opernregisseuren oder dergleichen angesprochen hätte, wie er zuerst gedacht hatte, wäre es ihm jetzt im Moment auch lästig gewesen.
    Auf einmal kam ihm in den Sinn, daß er sich eigentlich immer jemand wie sie als ägyptische Helena vorgestellt hatte … Ihren Rock hatte sie hochgezogen, ehe sie sich gesetzt hatte, jetzt schaute er wie unter einem Zwang auf ihre nackten Knie und den nackten

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